Diese Frage beschäftigt die Fahrradbranche. In einer Presserunde des pressedienst-fahrrad äußerten sich drei Experten zu den möglichen Änderungen.
Hintergrund ist eine Neuordnung der Fahrzeugkategorien, die die Europäische Kommission aufs Tapet brachte. Dabei im Fokus: das Pedelec. Bisher haben die elektrifizierten Fahrräder eine Sondergenehmigung, weshalb sie rechtlich als Fahrräder und nicht als Kleinkraftrad oder Light Electric Vehicle (LEV) gelten. In Zukunft wird das für den Großteil der Räder auch so bleiben, wie Markus Riese, Gründer und Gesellschafter beim E‑Bike-Spezialisten Riese & Müller, erklärt: „Erste Studien haben als klares Ergebnis gezeigt, dass das E‑Bike in seiner momentanen Form sicher ist und keine zusätzlichen Regularien benötigt. Es wäre sogar kontraproduktiv, wenn eine Typengenehmigung kommt.“
Das bestätigt Tim Salatzki, Leiter Technik und Normung beim Zweirad-Industrie-Verband (ZIV): „Die Freiheit des Fahrrads soll erhalten bleiben, aber man muss schauen, wie man die gesetzlichen Rahmen dafür besser anpassen kann.“ Gerade wenn neue Fahrzeugtypen auf den Markt kommen, brauche es europaweit einheitliche Fahrzeugklassen, um sichere und umsetzbare Regeln zu schaffen und dadurch die Sicherheit der Produkte zu gewährleisten. Deshalb dreht sich die Diskussion auf europäischer Ebene gerade um zwei Kernthemen für die künftige Mobilität: Lastenrad und S‑Pedelec.
Lastenräder im Fokus
„Lastenräder sprengen die aktuellen Standardisierungsfragen. Es gibt beispielsweise noch keine Regulierung für das Gesamtgewicht oder die Länge von Lastenrädern“, sagt Arne Behrensen, Geschäftsführer der Internetplattform Cargobike.jetzt und Fachmann rund um das Thema. Dabei böten Lastenräder große Chancen bezüglich neuer Räume und Perspektiven beim Liefer- und Privatverkehr. Dafür müssten jedoch die Rahmenbedingungen stimmen. Das Problem: Unter dem Begriff Lastenrad werden momentan viele Produkte subsummiert, die kaum einen Bezug zueinander haben. Die Terminologie ist laut Ansicht der Experten irreführend, denn es gehe neben Lastentransport auch um die Beförderung von Kindern und Personen.
Hierfür, beispielsweise für den Transport von Kleinkindern, gibt es bisher keine Standards, was aber für den erfolgreichen Fortgang des Themas als absolut sinnvoll erachtet wird und deshalb auch auf die europäische Ebene gehöre. Der Vorschlag stehe deshalb im Raum, in Zukunft zwei unterschiedliche Gewichtsklassen von Lastenrädern einzuführen. Eine soll bis max. 300 Kilogramm und eine bis 550 bzw. 600 Kilogramm Gesamtgewicht gelten. Da ein derart schweres Lastenrad kaum mit einem 250-Watt-Motor angetrieben werden kann, sind auch hier Änderungen bei der Typisierung einzuplanen, wie Behrensen bestätigt: „Bei der Gruppe ist die Frage berechtigt, ob es sich wirklich noch um ein Fahrrad handelt und Radwege benutzt werden dürfen. Die Diskussion muss aber geführt werden.“ Und Markus Riese ergänzt: „Wo ist der Verkehrsraum für diese Fahrzeuge? Hier muss noch viel Praxiserfahrung gesammelt werden. Aber das Feld hat ein enormes Potenzial.“ Dabei geht es in erster Linie jedoch um gewerbliche Anwendungen. Für die private Nutzung mit Gesamtgewichten bis 300 Kilogramm werde sich hingegen kaum etwas ändern, vermuten die Experten.
S‑Pedelecs auf Radwege?
Viele der Fragen, die sich beim Lastenrad stellen, lassen sich auf den Bereich S‑Pedelec übertragen. Die schnellen Elektroräder gelten bisher als Kleinkraftrad und dürfen deshalb in Deutschland beispielsweise nicht auf Radwegen gefahren werden und brauchen ein Versicherungskennzeichen. In Bezug auf die Verkehrswende wird den Fahrzeugen jedoch eine wichtige Rolle und große Zukunft prognostiziert – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die aktuellen Regelungen behindern jedoch die Weiterverbreitung der Fahrzeuge in vielen Teilen Europas, so die Meinung der Experten.
Markus Riese bezeichnet die Regelungen gar als „praxisfremd“. Ausnahmen sind Belgien und die Schweiz, wo eine Radwegenutzung erlaubt ist – und deshalb die Verkaufszahlen deutlich höher sind als in Deutschland. In der EU-Kommission gäbe es daher bereits Überlegungen, „wie man die Klasse der S‑Pedelecs anfassen kann, um die Nutzung zu erleichtern“, berichtet Salatzki. „Das Problem besteht nicht darin, dass S‑Pedelecs als Krafträder eingestuft werden, sondern das Problem ist die Straßenverkehrsordnung“, so Markus Riese. Sein Vorschlag: Die Entscheidung über eine Radwegenutzung sollte den Kommunen überlassen werden.
So hat beispielsweise die Stadt Tübingen aufgrund einer Sonderregelung in Baden-Württemberg Teile des Radwegenetzes für S‑Pedelecs freigegeben. Derlei Änderungen sollten jedoch praxis- und vor allem zukunftsorientiert sein. Breite Mountainbike-Lenker oder die Fahrzeugbreiten von Lastenrädern müssten ebenso bei der Planung und Konzeption von Radwegen berücksichtigt werden, wie Fahrzeuge für Menschen mit Handicap, die oft dreirädrig sind. „Solche Fahrzeuge können bei Reglementierungen schnell einmal durchrutschen, weil sie nicht im Fokus stehen. Deshalb gilt es, den Blick zu erweitern, dass jede Anwendung berücksichtigt wird“, appelliert Alexander Kraft, Pressesprecher beim Liegeradanbieter HP Velotechnik.
„Standardisierung ist keine Regulierung“
Auf EU-Ebene werden in den nächsten Monaten immer wieder Untersuchungen durchgeführt, die Auswirkungen und Änderungen mit sich bringen könnten. Tim Salatzki warnt jedoch davor, dass auch die Gefahr von Neuregelungen besteht, die der Fahrradbranche nicht guttun können. Darauf müsse sich die Branche vorbereiten und mit richtigem Input beitragen, dass Elektrofahrräder ein Baustein der Verkehrswende bleiben.
Die jetzt angestoßene Standardisierung für neue Fahrzeugklassen wird vermutlich noch rund drei Jahre dauern, bevor Entscheidungen fallen. „Das wird den Markt nicht behindern, sondern für mehr Klarheit sorgen, dass Fahrzeuge passend entwickelt werden“, so Salatzki. „Standardisierung ist keine Regulierung“, ergänzt Behrensen, der ebenfalls darauf setzt, dass durch klare Vorgaben mehr Möglichkeiten gerade für Lastenräder entstehen. Für den Großteil der Pedelec-Fahrer/innen werde sich, Stand jetzt, jedoch nichts ändern. Thomas Geisler/pressedienst-fahrrad
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