E-Motorräder

Livewire One: Das Motorrad mit dem Pulsschlag

Aus der Harley wurde die Livewire: Sie ist wirklich etwas Besonderes, nicht nur wegen des Namenswechsels. Ein Fahrbericht.

Das erste Elektromotorrad von Harley-Davidson überzeugte uns bei seiner Premiere vor vier Jahren mit enormer Dynamik und einem herausragenden Fahrwerk. Beides hat sich nicht geändert. Doch manch anderes erscheint vier Jahre nach dem Tag Null in anderem Lichte. Fast drei Wochen lang fühlten wir der Livewire One – so heißt die Ex-Harley mittlerweile offiziell – gründlich auf den Zahn. Ergebnis: Dieses zupackende Zweirad passt weder in eine Schablone noch in eine Schublade; es ist ein absoluter Sonderfall.

Livewire
Trotz nur 63 kW/86 PS Dauerleistung beschleunigt die One in der Art einer Kanonenkugel. Fotos: fbn

Nicht nur, weil im Zuge des Namenswechsels der E-Motorräder von Harley-Davidson zu Livewire eine eigene Vertriebsplattform ins Leben gerufen wurde und der Preis um satte 25 Prozent gefallen ist. Statt einst 32.995 Euro stehen jetzt 24.990 Euro in der Preisliste, bei identischem Lieferumfang versteht sich. Im Zuge der Neuhomologation sind 3 kW/4 PS Leistung abhandengekommen; vermisst haben wir die entlaufenen Pferdchen nicht mal ansatzweise.

Nicht wirklich viel Interesse

Ein Sonderfall ist die Livewire auch deshalb, weil sie offensichtlich trotz ihrer vielen guten Eigenschaften lediglich eine Handvoll Menschen überzeugen konnte, für sie einen Teil ihrer Ersparnisse zu opfern. Es hat sich herausgestellt, dass nur ein höchst überschaubarer Teil der Harley-Händler mit den Livewires etwas anfangen kann. Lediglich sechs, vornehmlich in Großstädten angesiedelte Betriebe mühen sich mit dem Vertrieb ab; auf dem Land ist das Kundeninteresse zwischen gering und nicht existent. Was natürlich auch dem Hersteller viel abverlangt; ein „Return on Investment“ ist nicht in Sicht.

Livewire
Das Design der Livewire erscheint nach wie vor frisch und gelungen, auch die Verarbeitung passt.

Das liegt nach unserer Erfahrung nicht nur daran, dass die Livewire eben keine typische Harley ist, sondern auch daran, dass das Laden des Akkus nur bei jenen Kunden einigermaßen freudvoll abläuft, die eine Gleichstrom-Ladesäule quasi „vor der Haustür“ haben. Dann flutscht es; der Hersteller spricht von 40 Minuten für eine Gleichstrom-Schnellladung von 0 auf 80 Prozent SoC. Bis „Voll“ sollen lediglich weitere 20 Minuten vergehen. Das ist respektabel. Hat in unserem Fall leider nichts genutzt, denn leider verfügen wir nicht über eine entsprechende Lademöglichkeit.

12,5 Stunden bis „voll“

Deshalb blieb nur die Haushaltssteckdose; nur für eine solche ist auch das unter dem Sitz kunstvoll platzierte Ladegerät ausgelegt. Gute 12,5 (in Worten zwölfeinhalb) Stunden nannte das bestens ablesbare TFT-Display mit Touch-Funktion im Livewire-Cockpit als Ladezeit fürs Auffüllen des 15,4 kWh-Akkus. Puuh! Unser Stromzähler rotierte denn auch so manche Nacht und einige Stunden dazu bei Helligkeit. An Level-2-Ladestationen, also üblichen 22-kW-Wallboxen, geht’s übrigens auch nicht schneller, mangels passendem Bordlader.

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Das Displaycockpit der Livewire zeigt einen klassischen Rundtacho an.

Im Praxistest bedeutete dies, dass zwei Stunden gewaltiger Fahrspaß mit gut 12 Stunden am Strom-Tropf erkauft werden müssen, was wir als extremes Missverhältnis empfunden haben. Noch krasser erscheint dieser Umstand, wenn man weiß, dass eine ebenfalls aus den USA stammende Zero SR-S mit praktisch gleich großem Akku sich dafür lediglich etwa 4,75 (vierdreiviertel) Stunden genehmigt. Ebenfalls an der Haushaltssteckdose.

Wie auf einer Kanonenkugel

Doch zurück zum Fahren. Die Livewire One verfügt nach wie vor über ein glänzendes Fahrwerk; sie bewältigt Kurven aller Radien so messerscharf und präzise wie ein Samurai-Schwert durch gut gekühlte Butter schneiden würde. Dabei federt sie mit ihren prima abgestimmten Showa-Komponenten sportiv-angenehm, bremst dank feinsten Brembo-Materials brachial und beschleunigt trotz nur 63 kW/86 PS Dauerleistung in der Art einer Kanonenkugel. Und zwar pausenlos, denn Schalten ist nicht. Man kann also mit der Livewire One auf kurvenreichen Landstraßen sehr schnell unterwegs sein, was denn auch in allen Gasttester-Gesichtern ein fettes Grinsen hinterließ. Gerade wegen des fulminanten Fahrspaßes dieser 255 Kilogramm wiegenden Elektro-Schleuder klagte aber jeder von ihnen, dass er nicht mehr als 150 Kilometer zurücklegen konnte. Dann war eigentlich immer „Ebbe im Tank“. Fein raus sind jene Eiscafé-Fans, die sich am liebsten im Flanier-Modus bewegen. Wir sprachen dagegen mehr dem Sportmodus zu, wobei eigentlich schon der Eco-Modus eine mehr als ausreichende Dynamik liefert.

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Dank prima abgestimmter Showa-Komponenten federt die One sportiv-angenehm.

Künstlicher Herzschlag

Das Design der Livewire erscheint nach wie vor frisch und gelungen, auch die Verarbeitung passt. Alle Schalter und Hebel fasst man gerne an, denn alles ist hochwertig. Freilich fehlen der Livewire ein paar Dinge, die das Glück so manchen Fahrers trüben: Der Handbremshebel kennt keinen Verstellmechanismus der Griffweite, es gibt kein noch so kleines Ablagefach, keine Griffheizung, und auch keine Winkelventile an den Leichtmetallrädern. Dafür leuchtet das Bremslicht automatisch auf, wenn der Fahrer rekuperiert. Was Hinterherfahrende auch nerven kann.

Ein nettes Detail stellt dagegen der künstliche „Herzschlag“ der Livewire dar; ein leichtes Pulsieren dringt bis in des Fahrers Gesäß vor. Der „Puls“ ist stets aktiv, wenn das Motorrad „scharf gestellt“, also startbereit ist. Den Sound empfanden die meisten Tester als „na ja“. Wir zitieren an dieser Stelle den Hersteller, der angesichts des mit der Fahrgeschwindigkeit sich steigernden Pfeiftons einen Düsenjet ins Spiel bringt.

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Die Ladebuchse versteckt sich unter der Tankklappe.

Schön: Keine Motorabwärme

Mindestens so eindrucksvoll wie lustvolles Schnellfahren ist das Bummeln mit der Livewire. Flüsterleise und vollkommen ruckfrei gleitet der kompakte Brocken mit jedem gewünschten Tempo voran. Stop-and-Go in der City ist ein Leichtes, und die sonst oft lästige Motor-Abwärme vor der roten Ampel gibt’s angenehmerweise auch nicht. Zudem fällt in Situationen wie dieser das Plaudern mit dem Nebenmann oder der Sozia leichter, denn keine einzige Motor-Explosion stört das Gespräch. „Urban people“ mit veganem Lebensgefühl werden ihre helle Freude haben. Ulf Böhringer/SP-X

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Mit 25.000 Euro ist auch die Livewire One alles andere als ein Schnäppchen.

Livewire One – Technische Daten:

Motor: Flüssigkeitsgekühlter Permanent-Magnetmotor, 75 kW/102 PS bei 11.000/min., max. Drehmoment 106 Nm bei 0-5000 U/Min; kein Getriebe, keine Kupplung; Riemen-Endantrieb.

Batterie: Lithium-Ionen-Akku, Nenn-Kapazität 15,4 kWh, nutzbare Kapazität 13,5 kWh, Rekuperation im Schiebebetrieb. Ladedauer 1 Stunde von 0-100 % mit Schnelllader, an der Haushalts-Steckdose und an Level-2-Ladestationen 12,5 Stunden.

Fahrwerk: Leichtmetall-Gussrahmen; vorne USD-Telegabel ø 43 mm, voll einstellbar, Federweg 11,5 cm; Leichtmetall-Zweiarmschwinge, Zentralfederbein, voll einstellbar, Federweg 11,5 cm; Aluminiumguss-Räder, schlauchlose Reifen Michelin Scorcher Sport 120/70 ZR 17 (vorne) und 180/55 ZR 17 (hinten). 30 cm Doppelscheibenbremse vorne, 26 cm Einscheibenbremse hinten.

Assistenzsysteme: Zweikreis-ABS mit Schräglagenfunktion, vier Fahrmodi (Road, Sport, Rain, Eco) plus 3 individuell konfigurierbare Fahrmodi, Traktionskontrolle, Wheelie-Kontrolle, Schleppmoment-Regelung, volle Konnektivität mittels Smartphone, LED-Beleuchtung.

Maße und Gewichte: Radstand 1,490 m, Sitzhöhe (beladen) 76,2 cm, Gewicht fahrfertig 255 kg, Zuladung 181 kg.

Fahrleistungen: Höchstgeschwindigkeit 177 km/h; Reichweite nominell 235 km (Stadtverkehr), 153 km (kombiniert), 112 km (89 km/h Dauertempo); lt. WMTC-Test 158 km. Praxisreichweite (Landstraße) um ca. 150 km.

Wartung und Garantie: Erster Service nach 1.600 km, danach alle 8.000 km. Fahrzeug-Garantie zwei Jahre, Akku-Garantie fünf Jahre, Preis: ab 24.990 Euro zzgl. 560 Euro Nebenkosten.

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