Nio bietet an seinen Swap Stations den Akku-Tausch an. Funktioniert das? Und wie viel Zeit kann man sparen? Ein Praxistest.
Auf der Geschäftsreise oder der Fahrt in den Urlaub (mehrere) Zwangspause(n) einlegen zu müssen, um Strom zu laden? Das schreckt den einen oder anderen E-Auto-Interessenten ab. Wäre da nicht ein Akkutausch besser und schneller? Der chinesische Hersteller Nio verkauft seit 2022 seine Autos auch in Europa – mit einem Angebot zum Akku-Tausch. Der Akku der Fahrzeuge lässt sich innerhalb von wenigen Minuten tauschen. Dazu müssen die Käufer allerdings Wechselstationen anfahren, die Nio momentan europaweit aufbaut. In Deutschland gibt es acht solcher meist direkt an den Autobahnen liegenden Power-Swaps, 50 weitere sind in Planung. Europaweit haben die Chinesen knapp 30 Wechselpunkte eröffnet, neben Deutschland, vorwiegend in Benelux und Skandinavien.
Akku mieten oder kaufen
Die Autos von Nio mit und ohne Batterie verkauft. Wer einen Akku kauft, kann diesen nicht an der Swap-Station wechseln lassen. Wer ihn mietet aber durchaus – inklusive der Möglichkeit, ihn unterwegs kostenlos zweimal pro Monat auszutauschen. Bei jedem weiteren Tausch kostet die kWh 20 Cent – wobei nur die Lade-Differenz zwischen abgegebener und neuer Batterie berechnet wird. Billig ist das Mietmodell jedoch nicht. Unser Testwagen, die 360 kW/490 PS starke Schrägheck-Limousine ET5, kostet 47.500 Euro plus 169 Euro (75 kWh) oder 289 Euro pro Monat (100 kWh) für die gemietete Batterie.
Zwei Routen zur Wahl
Doch wie gut funktioniert das Tauschsystem auf langer Strecke? Lohnt es sich, die Batterie zu wechseln? Oder fährt man mit kurzen Ladestopps schneller? Wir machen den Praxistest auf der von Strecke von Stuttgart nach Hamburg und zurück. Die direkte Route in die Hansestadt führt auf der A7 über Würzburg, Kassel und Hannover. 660 Kilometer mit genügend Schnellladern, aber nur einer Akku-Wechselstation in der Nähe von Hannover. Als Alternative bietet sich die Fahrt übers Ruhrgebiet an. Die Strecke über die A61, vorbei an Koblenz, Dortmund und über die A2 Richtung Hannover, ist mit 845 Kilometern zwar erheblich länger, passiert aber drei Power-Swap-Stationen. Die spannende Frage: Auf welcher Route kommt man schneller ans Ziel?
500 statt 590 Kilometer
Nio verspricht zwar 590 Kilometer Reichweite, der Bordcomputer unseres Testwagens meldet bei vollem Akku aber nie mehr als 500 Kilometer. Die genügen uns aber, um kräftig aufs Pedal zu treten und die lange Strecke mit wenigen Stopps runterzureißen. Wir starten an einem Freitag um 06:30. Mit zu 92 Prozent gefüllten Zellen und 412 Kilometern Reichweite schießen wir noch vor dem morgendlichen Berufsverkehr auf die A8. Bei freier Piste gehört dem Nio die linke Spur. Mit bis zu 180 km/h geht es gen Norden, dabei genehmigt er sich über 35 kWh/100 km. Noch 32 Prozent des 100-kW-Akkus sind verfügbar, als der ET5 nach 220 Kilometern vor der Power-Swap-Station in Waldlaubersheim bei Bingen zum Stehen kommt.
Ist da jemand?
Doch was ist da los? Das Rolltor ist verrammelt, kein Mensch zu sehen. Und auf unserem Display können wir den Wechselservice auch nicht buchen. Nach wenigen Minuten kommt ein etwas überrascht schauender Nio-Mitarbeiter ans Auto. „Wir öffnen erst um neun Uhr, da müssen Sie noch zehn Minuten warten.“ Wir nutzen die Zeit, um den Nio-Mitarbeiter über die Stationen auszufragen. 13 Batterien lagern im Keller eines Batteriehotels, wie er die Station nennt. Damit ist sie für bis zu 300 Akkuwechsel ausgelegt. Sein Job? Die Station warten, Akkus laden, schauen, dass alles läuft. So lange, bis die Stationen vollautomatisch funktionieren. Viel zu tun sei nicht. „Das letzte Auto war vorgestern hier.“
Die Tesla-Fahrer sind durchaus interessiert
Punkt neun Uhr poppt das Symbol der Wechselstation auf dem Bildschirm auf. Ein Klick und der Service ist aktiviert. Die Navigation erkennt, dass der Nio richtig steht – los geht’s. „Hände vom Lenkrad und nur im Notfall bremsen“, warnt ein Hinweis auf dem Bildschirm. Dann rangiert der Wagen vollautomatisch vor und zurück und zirkelt selbstständig rückwärts in die Swap-Box, die wie eine Garage mit einer Hebebühne aussieht. Am Supercharger nebenan sitzen einige Tesla-Fahrer in ihren Autos, tippen gelangweilt auf ihren Smartphones herum. Als die Wechselaktion beginnt, eilen sie herüber. Eigentlich ziemlich clever von den Chinesen, ihre Stationen bevorzugt an großen Ladehubs aufzubauen. Das könnte vielleicht den einen oder anderen E-Piloten zum Umsteigen bewegen.
Der Tausch dauert keine 5 Minuten
Kaum steht der ET5, wird er ein paar Zentimeter angehoben. Es rüttelt und vibriert unter dem Fahrzeugboden, während die Schrauben gelöst, der alte Akku nach unten versenkt und die neue Batterie eingebaut wird. Gleich vier Zuschauer gehen vor der Box in die Hocke, um das Spektakel zu beobachten. Keine fünf Minuten später leuchtet das Display wieder auf – alles ok, die Fahrt kann weitergehen.
Um sie zu schonen, werden Akkus an den Wechselstationen nur zu 90 Prozent geladen. Uns genügt’s: Zwei Stunden und 190 Kilometer später erreichen wir mit 44 Prozent Ladestand und 231 Kilometern Restreichweite die Tauschstation in Hilden. Der Rest ist schnell erzählt: Nach einem weiteren Wechsel in Großburgwedel bei Hannover und insgesamt neun Stunden freut sich die Crew an Bord über einen Kaffee in der Hamburger Innenstadt. Mit drei Stopps und der unfreiwilligen Wartezeit hat der Nio 843 Kilometer in neun Stunden geschafft. Ein Schnitt von 96 km/h an einem Werktag mit einem E-Auto? Ein Verbrenner wäre sicher nicht schneller.
Enttäuschung an der Ladesäule
Eine Woche später, wieder an einem Freitag, geht’s auf direktem Weg zurück nach Stuttgart. Dieses Mal mit nur einem Akkuwechsel nach 140 Kilometern. Da die 90-Prozent-Ladung des neuen Akkus jedoch bis Stuttgart reicht, zügeln wir den Gasfuß. Entspannt schwimmt der ET5 mit 130 bis 140 km/h im Vorwochenendverkehr mit. Der Verbrauch pendelt sich bei 24 kWh ein, sodass der Stromer bereits nach 270 Kilometern bei zehn Prozent Füllstand neuen Strom verlangt. Doch obwohl die Ladestation in der Navigation eingeben ist und die Batterie vorkonditioniert wird, lädt der Nio nur mit maximal 70 kW. Dabei sollte er eigentlich 120 kW ziehen können. Gleiches beim nächsten Halt an der Raststätte „Ob der Tauber“, den wir deshalb gleich wieder abbrechen. Erst an der dritten Zapfstelle kommt der Bordlader richtig auf Touren. Am Ende dauert es gute acht Stunden, bis wir Stuttgart nach 680 Kilometern erreichen.
Zeit und Geld sparen
Fazit: Die moderat gefahrene direkte Route mit mehreren Ladestopps ging schneller als die 160 Kilometer längere Hetzerei mit drei Wechselstopps. Doch wenn das Netz der Swap-Stationen wächst, wird das System durchaus attraktiv. Vielfahrer können mit dem Wechselsystem definitiv Zeit und angesichts der 20 ct/kWh auch Geld sparen. Ganz eilige Piloten haben dann nur noch ein Problem: Sie müssen während des Batteriewechsels im Auto sitzen bleiben und können die Zeit nicht für eine schnelle Pipipause nutzen. SP-X
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