Im Testzeitraum von 14 Tagen fallen uns an einem Auto viele Kleinigkeiten auf. Das Test-Tagebuch fasst diese zusammen. Der Kandidat: Nio EL7.
23.11.2023: Kennen Sie Nomi? Nein? Nun, Nomi ist die ständige Begleiterin in einem E-Auto der Marke Nio. Sie personifiziert sich in einer Kugel mit zwei Augen zentral auf dem Armaturenbrett – und ist so eine Art Assistentin. Wenn es dem Fahrer zu mühsam ist, sich durch die Menüs zu klicken, dann kann er sich mit der Aufforderung „Hi Nomi“ an sie wenden – und bekommt geholfen. Meistens.
Nomi wurde auch dadurch bekannt, dass sie sich in den ersten Versionen der Nio-Fahrzeuge auf dem deutschen Markt ständig von sich aus meldete und Sicherheitswarnungen aussprach, etwa, wenn der Fahrer mal zur Seite geblickt hat. Das kann auf Dauer freilich nerven.
Und so hatten wir die Befürchtung, dass die Testfahrten mit dem Nio EL7, einem großen SUV, ein wenig auf die Laune drücken könnten. Doch dem ist nicht so. Der chinesische Hersteller hat Nomi zu mehr Zurückhaltung erzogen, so dass wir auf den ersten 150 Kilometern nur einmal ermahnt wurden, doch bitte den Blick auf die Straße zu richten. Ansonsten hat sie sich bislang nicht eingemischt.
Nio EL7: Nomi ist sehr verständig
Als Assistentin kann Nomi viele Wünsche erfüllen, die ansonsten die Aufmerksamkeit des Lenkers auf den zentralen und vertikalen Bildschirm lenken würden – was nicht eben zur Sicherheit beiträgt. So kann sie die Sitz- und Lenkradheizung bedienen (derzeit wichtig), zwischen den Medien wechseln, den Weg weisen, die Temperatur regulieren und so weiter. Nomi versteht sehr viel und ziemlich gut. Auf die Frage, ob sie uns ein Gedicht vortragen könne, wies sie darauf hin, dass wir uns bei Spotify anmelden sollen. Dann hätte wohl auch dies geklappt. Und: Nomi dreht sich höflich demjenigen zu, der sie angesprochen hat.
Keine Frage, Nomi und Co. (wie auch immer sie heißen mögen) werden uns künftig in immer mehr Autos begleiten. Ob man das gut findet, muss jeder selber entscheiden. Ausschalten geht ja (hoffentlich) immer.
25.11.2023: Okay, Nomi kennen wir nun also. Doch es gibt auch noch ein Auto drumherum. Und zwar ein großes. Der EL7 misst in der Länge 4,91 Meter, ist 1,99 Meter breit und 1,72 Meter hoch. Wichtiger noch: Er wiegt 2.366 Kilogramm. Damit lassen sich keine Verbrauchsrekorde aufstellen, vor allem im Winter nicht. Nio selber gibt in seinen Datenblättern keinen Verbrauch an, und man muss schon ein wenig im Netz suchen, bis man auf Angaben von um die 21,5 kWh je 100 Kilometer stößt, wobei diese sicher Sommerwerte sind.
Nach einer 100-Kilometer-Testrunde liegen wir derzeit bei 28,0 kWh. Damit ließe sich die angegebene Maximal-Reichweite von 500 Kilometern mit unserem 100-kWh-Akku nicht realisieren. Doch die Abrechnung folgt zum Schluss, also abwarten und keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Doch zurück zu den Raumverhältnissen. Hinter der (elektrischen) Heckklappe öffnet sich ein Laderaum von 570 bis 1.545 Litern Fassungsvermögen und ausreichender Länge, um auch lange Gegenstände transportieren zu können – und einem Fach unter dem Laderaumboden. Sogar an Zurrösen hat Nio gedacht – gut für Dienstwagenbelange. Im Fond finden die Passagiere wirklich üppige Beinfreiheit sowie heizbare und in der Neigung verstellbare Sitze vor.
Kein Handschuhfach an Bord
Und vorne können sich Fahrer und Beifahrer nicht über mangelhaften Komfort beklagen: Sowohl der Fahrer- als auch der Beifahrersitz verfügen über eine elektrische 14-Wege-Einstellung mit Positionsspeicher und Kopfstützen mit 4-Wege-Einstellung. Auch eine Massagefunktion gibt es – alles serienmäßig wohlgemerkt.
Wir würden uns indes über ein paar mehr Ablagen freuen, da Nio kein Handschuhfach verbaut hat. Unter der Armlehne findet sich zwar ein großes Fach, davor zwei Cupholder und eine flache Ablage für das Handy. Das wars aber auch schon. Immerhin: die Türtaschen fallen groß genug aus.
Und dann gibt es da einige Merkwürdigkeiten, über die wir uns schon nach ein paar Tagen wundern. So sind beim Neustart regelmäßig die Außenspiegel verstellt und müssen neu justiert werden, obwohl man dies zusammen mit der kompletten Sitzkonfiguration speichern kann. Und man muss nach jedem Start auch das Radio (wieder) einschalten. Wir schreiben das mal der Software zu.
28.11.2023: Bevor wir uns zum Laden aufmachen noch ein Wort zur Preisgestaltung. Der EL7 kostet mit allen Extras (und derer gibt es viele) und Assistenten (und natürlich Nomi) 73.900 Euro inklusive Mehrwertsteuer (62.100,84 netto). Inbegriffen sind fünf Jahre Garantie und Pannenhilfe. Für private Kunden gibt es zudem für Service und Wartung einen Hol- und Bring-Service. Nur Sonderlackierungen und größere Räder kosten extra. Tagelanges Ausstattungsstudium entfällt hier also.
Nio EL7: Der Akku kostet extra
Nicht inbegriffen ist in dem Preis freilich der Akku. So kostet der kleine, 75 kWh große Speicher 12.000 Euro, der große mit 100 kWh 21.000 Euro. Man kann die Batterie aber auch mieten – den kleinen für monatlich 169, den großen für 289 Euro. Wer aber den Akku-Wechselservice an den sogenannten Swap-Stations in Anspruch nehmen will, der muss den Akku mieten. Dann bekommt man innerhalb von Minuten den leeren vollautomatisch gegen einen vollen getauscht.
Das Netz ist in Deutschland derzeit im Aufbau; es gibt mittlerweile acht in Deutschland und 28 in Europa. Wir haben an anderen Stellen schon über die Swap Stations berichtet, es funktioniert wohl recht gut. Im Rhein-Main-Gebiet ist leider noch keine angesiedelt.
Da es dieser angefangen hat zu schneien sei erwähnt, dass der EL7 grundsätzlich über Allradantrieb verfügt. Seine beiden Motoren leisten insgesamt 480 kW (653 PS) und teilen diese intelligent zwischen den Achsen auf. Das maximale Drehmoment beträgt 850 Newtonmeter, was den Nio in 3,9 Sekunden von Null auf 100 km/h treibt – Werte, für die vor nicht allzu langer Zeit zu erreichen ein kräftiger Sportwagen Probleme hatte. Bei 200 km/h wird abgeregelt.
Erwähnen möchten wir noch die Anhängelast von zwei Tonnen (gebremst); einen ungebremsten Wert gibt Nio nicht an. Einen Frunk gibt es nicht.
30.11.2024: Auch der größte Akku muss irgendwann mal geladen werden – zumal im Winter, wenn die Kälte über Nacht den einen oder anderen Prozentpunkt SoC wegfrisst. Wie erwähnt gibt es bei Nio zwei Möglichkeiten der Schnellladung: den Austausch an einer Swap Station oder das übliche Schnellladen an einer HPC-Säule. Wir entschieden uns für Letzteres, da es im Rhein-Main-Gebiet (noch) keine Tauschstation gibt.
Zunächst: Das Navigationssystem berechnet auf Langstrecken die Ladepunkte in die Streckenführung ein und lotst den Fahrer hin. Zudem zeigt es die Säulen in der Umgebung an, wenn man Nomi höflich bittet. Also: „Unsere“ Aral-Pulse-Säule eingecheckt und auf geht´s (die Akkukonditionierung freilich aktiviert). Nach etwa 25 Minuten kamen wir bei einer Außentemperatur von einem Grad und einem Rest-SoC von 11 Prozent an der Säule an.
Dass der Nio EL7 beim HPC-Laden keine Rekorde brechen würde war uns schon klar, ist er doch mit einer Spitzen-Ladeleistung von nicht sehr üppigen 120 kW ausgewiesen. Wir wunderten uns aber dennoch über die zwar schön gleichmäßige, aber dennoch sehr niedrige Ladekurve. Ladeleistungen von um die 80 kW mögen ja bei einem Fahrzeug mit kleinerem Akku angehen, aber den 100-kWh-Koloss im EL7 damit vernünftig zu speisen kann nicht gelingen.
Wir benötigten letztlich für die Ladung von 11 auf 80 Prozent SoC knapp eine Stunde (57 Minuten). Nach 30 Minuten war ein Ladestand von 51 Prozent erreicht – in dieser Zeit hatte er also 40 kWh nachgeladen – das reicht für 150 Kilometer. Das ist für ein Fahrzeug der Oberklasse eindeutig zu wenig, denn nicht auf jeder Route ist zum richtigen Zeitpunkt eine Swap Station verfügbar. An der AC-Dose zieht der EL7 mit 11 kW.
Immerhin lässt es sich auf dem ausfahrbaren Komfort-Beifahrersitz gut pausieren, versüßt durch eine wirklich tolle Soundanlage. Dennoch sollte Nio nicht am Lader sparen, das passt einfach nicht zu dem sonst so gediegenen Auftritt.
04.12.2023: Am Wochenende haben wir im dem EL7 eine längere Strecke zurückgelegt. Und es gab zwei neue Erkenntnisse, eine positive, eine negative. Zuerst die positive: Beim HPC-Laden am Rande der Autobahn (Ionity) erreichte der Nio bessere Werte als beim ersten Testladen; wahrscheinlich war der Akku durch den Autobahnbetrieb besser erwärmt. Die Ladeanzeige kletterte sofort auf 100 kW Ladestrom und verharrte auf diesem Niveau, um gegen Ende des Ladevorgangs leicht abzufallen. Dieses Mal schaffte der EL7 die Ladung von 9 auf 79 Prozent in gut 40 Minuten, was dicht bei den Angaben des Herstellers liegt.
Leider kann man das für die Reichweite kaum behaupten, trotz gut durchgewärmtem Akku. Denn für den restlichen Weg von Köln nach Frankfurt (160 Km) zählte die Reichweitenangabe weit mehr herunter, nämlich 250 Kilometer. Ähnliches lässt sich auch für den Verbrauch befürchten; der Bordcomputer jedenfalls lässt Werte um die 30 kWh je 100 Kilometer erahnen. Wir werden dies im Abschlussbericht aufarbeiten.
Dennoch: Der EL7 ist ein Auto für die Langstrecke. Das Reisen in ihm ist komfortabel, die (Massage-)Sitze sind langstreckentauglich, der „Autopilot“ hält gut die Spur, ohne sich vom Verkehr auf anderen Spuren beeinträchtigen zu lassen. Und wer den Ladevorgang im Auto verleben muss oder möchte, kann den Beifahrersitz flugs zum Liegesitz mit Fußstütze umfunktionieren.
Die Bedienung der vielen Funktionen erweist sich meist als leicht eingängig, und notfalls hilft ja die verständige Nomi weiter. Lediglich die Navigationskarte in einem anderen Maßstab als dem vom System vorgegebenen zu fixieren ist uns nicht gelungen, da konnte auch Nomi nicht weiterhelfen. Vermisst haben wir ein wenig das Matrix-Licht, das einem Auto wie dem EL7 gut zu Gesicht stehen würde. Nun sind wir gespannt auf den Gesamtverbrauch.
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