Der U6 ist das zweite Modell von Aiways auf dem deutschen Markt. Er bietet mehr als so mancher vermutet. Ein Fahrbericht.
Es gab während der Testphase nicht wenige Köpfe, die sich nach dem Aiways U6 umdrehten. Denn mintgrüne Fahrzeuge sieht man nicht oft auf der Straße, wo gedeckte Töne das Straßenbild bestimmen. Der besondere Farbgeschmack der chinesischen Marke setzt sich auch im Innenraum fort, wo helles Lederimitat mit farblich abgesetzten Streifen sowie helle Materialien dominieren. An deren Verarbeitung gab es von niemanden etwas auszusetzen
Das alles kann man mögen, muss man aber nicht. Wir haben uns schnell daran gewöhnt, empfanden den lichten Look angenehmer als das Schwarz, dass so oft die Innenräume von Fahrzeugen auskleidet. Doch die Farbkomposition des U6 war nicht das Einzige, was uns an dem Fahrzeug beeindruckte. Er erinnerte uns in seiner Form ein wenig an das Skoda Enyaq Coupé, das vor nicht allzu langer Zeit in der Redaktion vorstellig geworden war. Dabei übertrifft der U6 den Skoda sogar um 15 Zentimeter an Länge, kostet aber etwa 20.000 Euro weniger.
Mit seinen gut 4,80 Metern Länge darf man den Aiways zur gehobenen Mittelklasse zählen, wobei Aiways die Größe geschickt kaschiert. Der lichte Innenraum (Glasdach ist Serie) bietet Platz für fünf Personen, vor allem im Fond gibt es mehr als ausreichend Raum für die Beine. Der Kofferraum öffnet sich elektrisch, darunter bietet sich ein Laderaum mit einer Kapazität von 472 bis 1.260 Liter und guter Beladbarkeit. Darunter wiederum findet sich noch ein Fach für Kleinkram. Einen Frunk gibt es leider nicht. Allerdings hätte man dem Ladeabteil ruhig eine Abdeckung spendieren können.
Aiways U6: Etwas übergriffige Assistenten
Mit seinen 160 kW (218 PS) und einem maximalen Drehmoment von 315 Newtonmeter schiebt der E-Motor den U6 tüchtig voran. Bei 160 km/h wird abgeregelt, wie es heute bei vielen E-Autos üblich ist. Es gibt drei Fahrmodi sowie einen One-Pedal-Modus, der in einem Untermenü aktiviert wird. Das Fahrwerk gibt sich gelassen und gutmütig, ist nicht auffällig sportlich, sondern eher auf Komfort ausgelegt.
Ein wenig übergriffig sind die Assistenten, vor allem der Spurhaltehelfer. Er warnt schon bei Annäherung an die Mittellinie, was auf engen Landstraßen leider nicht zu vermeiden ist – das nervt auf Dauer. Man kann ihn und die vielen anderen Helfer ausschalten, allerdings nur im Stand und man muss es immer wieder tun. Wir haben einen goldenen Mittelweg gefunden und die Lautstärke des Warntons soweit herunter gedreht, dass er kaum noch wahrzunehmen war. Diese Einstellung gilt auch beim nächsten Starten. Und: Selbst zum Rangieren in der eigenen Garage muss man angeschnallt sein. Sonst bewegt sich das Auto keinen Meter.
Hier geht es zum Test-Tagebuch des Aiways U6
Die Besonderheit des U6 ist, dass Aiways auf ein eigenes Navigationssystem verzichtet und voll auf die Integration des Smartphones über Apple CarPlay oder Android Auto setzt. Letztere Anbindung funktioniert kabellos und ließ sich ohne Probleme herstellen und bedienen. Nachteil: Eine Ladeplanung für längere Touren kann das Bordsystem des U6 allerdings nur liefern, wenn man eine App im Smartphone nutzt. Entsprechend muss man auch die Batterie-Konditionierung händisch einschalten.
Software: Nicht immer souverän
Der Schwachpunkt des jetzigen U6 waren indes einige Software-Bugs. So fror einmal das ganze System nach dem Start komplett ein und wir mussten das Fahrzeug neu starten. Auch fand es einmal keine Radiosender, weder auf FM als auch per DAB+. Oder auf die Lautstärkeregelung per Lenkradtaste für die Medien reagierte die Navigationsansage. All diese Seltsamkeiten traten beim nächsten Start nicht mehr auf, so dass man davon ausgehen kann, dass ein Update hier Abhilfe schaffen könnte. Das kennt man ja mittlerweile. Immerhin: Das Systemfährt sehr schnell hoch und ist nach rund 5 Sekunden einsatzbereit.
Auf unserer 100 Kilometer langen Verbrauchsfahrt über Autobahn und Landstraße bei Außentemperaturen oberhalb von 10 Grad ergab sich im Schnitt ein Verbrauch von 17,8 KWh je 100 Kilometer. Aiways gibt als WLTP-Wert 16,6 bis 16,0 kWh an; somit lässt sich mit dem Praxis-Wert gut leben. Die Reichweite liegt angesichts der Batteriekapazität von (nutzbaren) 60 kWh bei etwa 350 Kilometer. Allerdings haben wir auch festgestellt, dass die Reichweitenanzeige die Restkilometer wesentlich schneller runterzählt als sie gefahren wurden: Bei der Verbrauchsfahrt nahm die Anzeige um 140 statt der wirklich gefahrenen Kilometer ab.
Bei recht warmen Temperaturen haben wir uns aufgemacht zur Schnellladesäule. Die Vorkonditionierung des U6 haben wir aktiviert und waren danach rund 45 Minuten auf der Autobahn unterwegs – optimale Bedingungen also zum Schnellladen.
Laden: Auf 80 Prozent in 31 Minuten
Bei 6 Grad Außentemperatur und einem Rest SoC von 18 Prozent legte der Aiways vorsichtig los, steigerte sich aber nach fünf Minuten auf den Maximalwert von 88 kW. Danach ging es gleichmäßig bergab. Damit erreichte er die Vorgaben des Herstellers (90 kW) beinahe, was die maximale Ladeleistung angeht. Die Vorgabe, das Fahrzeug von 20 auf 80 Prozent innerhalb von 35 Minuten aufzuladen, übertraf er sogar: Bei unserem Ladevorgang dauerte es exakt 31 Minuten von 18 auf 79 Prozent. Die durchschnittliche Ladeleistung lag bei 55,6 kW.
Werfen wir noch einen Blick auf den Verbrauch in den 12 Tagen Testzeit. Inklusive einiger Kurzstreckenfahrten sowie der Testrunde kamen wir auf einen (Winter-)Verbrauch von durchschnittlich 23,9 kWh inklusive Ladeverluste – und bleibt somit im Rahmen.
Einen dicken Pluspunkt sammelt der U6 beim Preis: Mit 44.911 Euro brutto und fast allen Extras, die man sich wünschen kann (außer Head-up-Display) ist er ein gutes Angebot. Zum Vergleich: Der VW ID.3 beginnt bei 40.000 Euro, ist eine Klasse niedriger anzusiedeln und von Haus aus lange nicht so gut ausgestattet. Die Gesamtkosten des U6 lassen sich kaum beziffern, der ADAC traut sich eine Bewertung nicht zu.
Aiways U6: Fünf Jahre Garantie
Wichtig bei neuen Marken ist auch ein Blick auf die Garantieleistungen. Aiways gibt eine Herstellergarantie von 5 Jahren oder 150.000 km. Für die Batterie gilt: Mindestbatteriekapazität von 75 Prozent nach 8 Jahren oder 150.000 Kilometer. 8 Jahre Herstellergarantie oder die ersten 150.000 km erhalten die Schlüsselkomponenten Motor sowie das Steuergerät.
Erwähnenswert ist noch: Das Auto kann derzeit ausschließlich über die Unternehmens-Homepage bestellt werden, da die Kooperation mit der Elektronikkette Euronics im Sommer beendet wurde. Laut Auskunft von Aiways wird der Vertrieb gerade neu verhandelt. Für den Service sorgen aber weiterhin rund 27 Vertretungen der freien Reparaturkette A.T.U. Unkritische Reparaturen können alle Stützpunkte ausführen.
Fazit: Der Aiways U6 bietet viel Auto, viel Ausstattung zu einem günstigen Preis. Er erlaubt sich kaum Schwächen und hat uns positiv beeindruckt. Wenn die Marke die Software-Bugs besser in den Griff bekommt, ist er ein echter Geheimtipp.
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Aiways U6 – Technische Daten:
Fünftüriger Elektro-SUV-Coupé mit Frontantrieb; Länge: 4,80 Meter, Breite: 1,88 Meter, Höhe: 1,64 Meter, Radstand: 2,80 Meter, Leergewicht 1.790 Kilogramm, Kofferraumvolumen: 472 bis 1.260 Liter, Anhängelast: keine, kein Frunk.
E-Motor mit 160 kW/218 PS, maximales Drehmoment 315 Nm, Automatikgetriebe, Lithium-Ionen Batterie mit 63 kWh., nutzbar 60 kWh, 0-100 km/h: 7,0 s, Vmax: 160 km/h, max. Reichweite 405 km (WLTP, kombiniert).
Messwerte: Ladeleistung 11 kW AC, 88 kW DC, Ladeleistung (Durchschnitt) 56 kW, Ladezeit von 19 auf 79 % SoC: 31 Minuten.
Verbrauch: 16,0 bis 16,6 kWh (WLTP), Testverbrauch: 23,9 kWh (Winter) inkl. Ladeverlusten, Testrunde (100 km): 17,8 kWh.
Preis: ab 44.911 Euro.
Sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis
Sehr gute Ausstattung
Viel Platz
Viele Assistenten
Gutes Platzangebot
Schneller Rechner
Gut nutzbarer Laderaum
Einige Software-Bugs
Kein Frunk
Keine Anhängelast
Keine Kofferraumabdeckung
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