Es läuft derzeit nicht rund beim amerikanischen E-Auto-Vorreiter Tesla. Das hat vielfältige Gründe. Wir ziehen Bilanz.
Was ist nur mit Tesla los? Nach Jahren des Erfolgs und Rekord-Produktionszahlen scheint es, als ob jene Marke, die das E-Auto weltweit populär gemacht hat, in die Krise rutscht. Die Frage stellt sich nicht nur wegen der anhaltenden Proteste rund um den Ausbau des Werks in Grünheide bei Berlin.
Schauen wir doch mal genauer hin. Nachdem der Branchenprimus 2023 mit 1,85 Millionen produzierten E-Autos einen weiteren Firmenrekord aufgestellt hatte, hat sich der Fahrzeugausstoß im ersten Quartal dieses Jahres verlangsamt. Mit 401.000 gebauten E-Mobilen liegen die Kalifornier zwar nur rund 7.000 Einheiten unter dem Ergebnis des Vorjahreszeitraums, gemessen an dem rasanten Wachstum der Vorquartale wirkt das jedoch wie ein herber Dämpfer. Vor allem, da der Rückgang im März schon bei 41.000 Einheiten lag – ein Minus, das nicht nur aus den Osterferien im Berliner Werk und den Folgen des Brandanschlags auf die Stromversorgung resultiert.
Und nicht nur die Produktion sinkt, sondern auch die Nachfrage. So sind die weltweiten Auslieferungen im ersten Quartal um 8,5 Prozent gesunken. In der Folge wachsen die Lagerbestände, nach Schätzungen der Beratungsagentur Inovev warten aktuell rund 160.000 Fahrzeuge auf Kundschaft. Inwiefern der Absatzrückgang hausgemacht ist oder ob Tesla unter dem allgemein schwachen E-Auto-Trend in den USA und Teilen Europas leidet, ist nicht eindeutig. Tesla selbst zumindest scheint ökonomischen Handlungsbedarf zu sehen und kündigt die Entlassung von rund 10 Prozent seiner Belegschaft an. Das entspricht rund 14.000 Mitarbeitern.
Tesla: Nachfrage und Produktion sinken
Klar, die Marke macht vieles anders als die Wettbewerber. Das Netz an Verkaufs- und Servicestellen ist gering; man hat frühzeitig auf den Verkauf im Internet gesetzt, Rabatte gibt es nicht. Das gilt auch für Firmenkunden, deren Betreuung oft zu wünschen übrig lässt – klar, man musste bislang ja auch keine Stückzahlen in den markt drücken wie andere Marken, sondern die Autos verkauften sich von alleine. Ist Tesla an dem Punkt der Marktsättigung angelangt?
Es gibt aber auch interne Faktoren. So hat Tesla Schwierigkeiten, sein Pkw-Angebot zu erneuern und zu erweitern. Das Model S ist mittlerweile zwölf Jahre alt, das Model X nur drei Jahre jünger. Selbst das Model 3 hat bereits sieben Jahre auf dem Buckel – im Pkw-Geschäft steht ein Modellwechsel üblicherweise nach spätestens acht Jahren an. Software-Updates und neue Antriebsvarianten verlangsamen den Alterungsprozess zwar, aber aufhalten können sie ihn nicht. Neue Modelle mit Bestseller-Potenzial wie das immer wieder verschobene Model 2 lassen auf sich warten. Der skurrile Cybertruck kann das verpasste Absatzvolumen bislang nicht auffangen.
Der kantige Kampfwagen polarisiert mit seiner martialischen Optik die wichtige Zielkundschaft in Europas Mittelschichten. Gleiches gilt für Konzernlenker Elon Musk, der sich aktuell vor allem mit rechtslibertären Einwürfen über seinen Kurznachrichtendienst X in politische Debatten einmischt. Bei typischen E-Auto-Fans in Deutschland dürften seine Positionen zu Klimakrise, Migrationspolitik und Corona-Pandemie nur wenig anschlussfähig sein. Ärger und Probleme kann sich Tesla aktuell eigentlich nicht leisten, wächst doch weltweit die Konkurrenz. Vor allem im wichtigen Markt China, wo die heimischen Hersteller immer größere Marktanteile erobern.
Die Preispolitik irritiert viele
Hinzu kommt, dass Tesla zuletzt mit einer erratischen Preispolitik irritierte, die manchmal wie der Beginn eines Preiskriegs wirkte, letztlich aber undurchschaubar blieb. Am Ende wandten sich viele Privatkunden in der Angst, zu einem schlechten Preis zu kaufen, entnervt ab. Viel schlimmer: Auch Großkunden wie Autovermieter Hertz schreckte das unkalkulierbare Restwertrisiko ab.
Nicht zuletzt bekommen die Kalifornier ihre Qualitätsprobleme nicht in den Griff; in Rankings von Verbraucherorganisationen wie J.D. Power liegen sie seit Jahren auf den hinteren Rängen. Und auch der deutsche TÜV oder der Automobilclub ADAC kritisieren Zuverlässigkeit und technische Ausführung. Die Käufer der ersten Stunde, oft eingefleischte Fans, mögen das noch tolerieren – für die Eroberung des Massenmarkts ist ein schlechtes Qualitäts-Image aber ein ernstes Hindernis.
Zu der eher ungünstigen Gemengelage gesellte sich zuletzt auch noch die Ankündigung, die Geschwindigkeit beim Ladenetzausbau drosseln zu wollen. Vor allem in den USA ist Tesla mit seinen rund 58.000 Superchargern mit großem Abstand der wichtigste Ladesäulenbetreiber. Die Drosselung des Zubaus dürfte verschiedene Gründe haben, etwa die schleichenden E-Auto-Verkäufe in den USA, mögliche politische Änderungen nach einem Sieg der E-Auto-skeptischen Republikaner und die eher geringen Margen im Fahrstromgeschäft.
Kümmert sich Musk noch um Tesla?
Generell wirkt es aber auch, als hätte der Milliardär Musk das unmittelbare Interesse an Tesla etwas verloren. Themen wie der Twitter-Nachfolger X, Weltraumtechnik und Robotaxis scheinen ihm aktuell wichtiger zu sein. Der Marke könnte es vielleicht sogar nutzen, wenn Musk sich anderen Projekten zuwendet. Denn in vielerlei Hinsicht bleibt Tesla ein Maßstab für die Branche: Mit dem Model Y hat die Marke das zuletzt weltweit bestverkaufte Auto im Programm, mit dem NACS-Ladestandard hat sie die etablierten US-Hersteller düpiert und bei der Konnektivität der Fahrzeuge haben die Kalifornier eh den kompletten Westen abgehängt. Hinzu kommt ein Vorsprung bei Batterie-Integration und Fertigungstechnik, der wohl noch ein paar Jahre halten dürfte. Und auch wenn der Gewinn im vergangenen Jahr erstmals geschrumpft ist: 15 Milliarden Dollar flossen trotzdem in die Kassen. HM/SP-X/Titelfoto: Tesla
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