Riemen stehen für längere Haltbarkeit sowie wartungsarme Funktion ohne Schmierung – deshalb sind sie auch vermehrt an Fahrrädern zu finden.
Die klassische Fahrradkette liefert immer mal wieder einen Grund für Ärger. Mal hat man vergessen, die Hosenbeine hochzukrempeln und muss nun den Dreck irgendwie aus der Jeans herauskriegen, ein andermal will sie gefettet werden und regelmäßig muss sie getauscht werden, da sie sich gelängt hat. Gibt es keine Alternative? Die gibt es: Einige Fahrräder kommen mit Riemen als Kraftübertragung ans Hinterrad.
Riemen kennen wir vor allem als Zahnriemen im Auto. Sie sind aber auch – wie die des US-Unternehmens Gates – in Produkten verbaut, wo hohe Kräfte wirken und gleichzeitig Langlebigkeit ein wichtiges Kriterium ist. Im Haushalt findet man Gates-Riemen etwa in Staubsaugern oder Waschmaschinen, industriell sind sie in Bau- und Mähmaschinen, Windkraftanlagen oder Bohrtürmen verbaut. „Diese Anwendungen haben hohe Ansprüche und müssen funktionieren. Außerdem kann nicht ständig ein Techniker kommen, um einen Service durchzuführen“, so Frank Schneider von Universal Transmission, dem Vertriebspartner für Gates-Fahrradriemen.
Von der Kuh ans Fahrrad
Das gilt auch für das wohl skurrilste Produkt in der über 100-jährigen Firmengeschichte: Gummistiefel für Kühe. Die sogenannten Klauenschuhe helfen, dass die Paarhufer in matschigen Gebieten nicht so stark einsinken und die Hufe weniger verdrecken –gerade in den schottischen Highlands ein Erfolg. Die Fertigung ist mittlerweile trotzdem eingestellt, in der schottischen Fabrik von Gates werden heute Riemen für Fahrräder und E-Bikes produziert – und das mit noch größerem Erfolg.
Vor knapp über zehn Jahren erkannte das Unternehmen den Bedarf für eine Alternative zur Kette auch am Fahrrad – und dass ein solches Produkt fehlte. Mittlerweile rollen geschätzt rund zehn Prozent der Räder in Deutschland mit Riemen aus den Fahrradläden, die einstige Alternative ist Mainstream und im Angebot jedes großen Radherstellers zu finden.
Der Riemen findet immer mehr Freunde
„Der Riemen hat sich etabliert. Gerade an E-Bikes mit Mittelmotor findet er viele Freunde, weil er robuster und langlebiger ist als eine Kette, die Kräfte besser überträgt und dazu noch servicearm ist“, erklärt Anja Knaus vom E-Bike-Hersteller Flyer die Vorzüge. Der Riemen wird in einem Stück gefertigt und erfährt im Laufe der Zeit keine Längung, wie sie vergleichsweise von Ketten bekannt ist.
Allerdings sind die Fahrradriemen ein komplett eigenes Produkt: Riemenstärke und -breite sowie das Zahnprofil auf der Innenseite sind speziell auf den Einsatz am Fahrrad abgestimmt. „Es ist falsch anzunehmen, dass es einen Riemen für alles gibt. Die Riemen unterscheiden sich je nach Einsatzzweck. Die Entwicklung und Produktion ist ein sehr komplexer Vorgang, damit der Riemen seine Stärken auch bei den unterschiedlichsten Anwendungen perfekt ausspielt“, so Schneider.
Riemen auch in E-Motoren
Auch innerhalb der Fahrradbranche kommen Gates-Riemen bereits in anderen Produkten zum Einsatz: Antriebsspezialist Brose, ebenfalls ein großer Player im Kfz-Bereich, verbaut in seinen E-Bike-Antrieben die Carbonriemen von Gates als Keilriemen. „Der Carbon verstärkte Zahnriemen reduziert die Geräuschbildung deutlich und verhindert, dass Vibrationen auf das Pedal übertragen werden. Der Riemen ist speziell für unseren Einsatzzweck im Antrieb entwickelt“, erklärt Horst Schuster, Leiter Vertrieb und Marketing bei Brose Antriebstechnik.
Nicht jedermanns Sache
Warum fährt also nicht jeder Radfahrer mit einem Riemen? Die Antwort ist technisch, aber einfach. Anders als eine Kette ist der Riemen nicht teilbar. Deshalb braucht ein riementaugliches Rad eine Öffnung im Rahmen, ein sogenanntes Rahmenschloss. „Neuere Modelle verfügen über eine derartige Öffnung im Rahmen bereits ab Werk. Bei älteren Modellen fehlt sie hingegen, weshalb die Räder nicht nachgerüstet werden können“, erklärt Christian Witscher vom Hersteller Winora, der einige Riemenräder im Programm hat. Außerdem ist ein Riemen nicht mit einer Kettenschaltung kompatibel.
Änderungen auch im Sport
Riemenräder werden in erster Linie mit einer Zentralgetriebeschaltung von Pinion oder Nabenschaltungen gefahren. „Diese Schaltungsvarianten sind zwar wie der Riemen robust und wartungsarm, dafür aber auch schwerer als eine Kettenschaltung. Für sportliche Fahrerkommen sie aus unterschiedlichen Gründen deshalb oft nicht in Betracht, etwa weil die Schaltvorgänge bei einer Kettenschaltung nach wie vor schneller sind“, sagt Volker Dohrmann vom Fahrradhersteller Stevens Bikes.
Aber auch im Sport scheinen sich Änderungen anzubahnen. Im BMX-Sport, wo ohnehin keine Schaltung verbaut wird, ist der Riemen als Antrieb bereits vom internationalen Radsportverband UCI offiziell zugelassen. Auch erste vollgefederte Mountainbikes werden bereits mit Riemen und Getriebeschaltung angeboten. Dafür bietet Gates seit 2017 einen speziellen Riemenspanner, der für ein gleichbleibende Spannung des Riemens sorgt, auch wenn das Hinterrad einfedert und sich die effektive Länge des Hinterbaus dadurch verändert. „Bei Kettenschaltungen gleicht das Schaltwerk diese Bewegungen des Rades aus. Dieses fehlt bei einem Riemenantrieb, weshalb es den speziellen Riemenspanner braucht. Die Techniken werden also stetig weiterentwickelt. Mal abwarten, was noch kommt“, blickt Schneider optimistisch in die Zukunft. HM/Titelfoto: pd-f/Peter Bender
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