Die e-Schwalbe stromert schon länge über unsere Straßen, bislang mit 45 km/h. Nun gibt es sie aber auch mit 90 km/h. Ein Fahrbericht.
Elektroroller werden immer häufiger, was aber auch kein Wunder ist, sind sie doch eine wunderbare Alternative für die City. Doch Modelle mit 45 km/h Höchstgeschwindigkeit sind für viele Verkehrsteilnehmer auch ein Ärgernis. Weil dieses unglücklich gesetzte Limit potenzielle E-Roller-Kunden abschreckt, werden zunehmend mehr Scooter mit höherer Endgeschwindigkeit angeboten. Von der Kleinkraft- in die Leichtkraft-Liga aufgestiegen ist auch die 2017 eingeführte E-Schwalbe, denn Hersteller Govecs bietet sie mittlerweile auch in einer 90 km/h schnellen L3E-Version an. Im Test zeigt diese eindrucksvoll: Leistung ist durch nichts zu ersetzen außer durch noch mehr Leistung.
11 PS dank neuer Software
Im Fall der schnellen Schwalbe hat sich das Potenzial der Bosch-Maschine allein dank Softwareanpassung analog zur Höchstgeschwindigkeit von 4 kW/5,5 auf 8 kW/11 PS verdoppelt. Einziger physischer Unterschied zur 45-km/h-Variante: Das für die Basis optional bestellbare zweite Batteriepaket ist für die schnelle Schwalbe Serienausstattung, was für geballte 4,8 kWh Speicherkapazität als auch einen Preisanstieg auf rund 6.800 Euro sorgt.
Eine modifizierte Antriebssteuerung klingt nicht sonderlich verheißungsvoll, doch praktisch macht sie aus der sanften Schwalbe einen Sturmvogel. Beim ersten Fahrversuch merken wir davon zunächst wenig, denn wenn mit dem gleichzeitigen Drücken von Bremsen und zwei Knöpfen der Roller in Fahrbereitschaft versetzt wird, wird automatisch im Fahrmodus „Go“ gestartet. Längsdynamisch reicht dieser noch nicht zum Frohlocken, wenngleich bereits hier eine ausreichend gute Beschleunigung sowie eine Höchstgeschwindigkeit von über 60 km/h drin sind, was es erlaubt, im Stadtverkehr mit den Autos mitzuhalten.
Mehrere Fahrmodi
Über Tasten am linken Lenkergriff gelingt der Wechsel in andere Fahrmodi, die mehr Leistung versprechen. Am stärksten ist „Boost“, bei dem sich bereits beim vorsichtigen Dreh am Gasgriff die Arme strecken. Regelrecht giftig treiben die jetzt voll zur Verfügung stehenden 11 PS die eigentlich gemütlich aussehende e-Schwalbe nach vorne. Schnell lässt die digitale Geschwindigkeitsanzeige bei Vollgas den 60er- und 70er-Bereich hinter sich, erst um 80 herum wird der Tempozuwachs zäh. Für 90 km/h braucht es Anlauf. Hat man den, sind sogar ein paar km/h mehr drin. Angestrengt wirkt sie selbst dann nicht, auch Unsicherheiten kommen keine auf. Statt von Autofahrern als Hindernis wahrgenommen zu werden, kehrt sich für den eiligen Schwalbe-Piloten das Störfaktor-Empfinden um.
75 Kilometer mit „Go“
Verfällt man dank überbordender Kraft dem Temporausch, ändert parallel die Reichweitenanzeige drastisch ihre Prognose. Beim Start hat der Bordcomputer noch mehr als 100 Kilometer in Aussicht gestellt, im Boost-Modus kann sich dieser Wert rasch mehr als halbieren. Und irgendwie weiß man nicht so recht, wo der Reichweitenverfall endet. Sollte es eng werden, wechselt man einfach in Go. Hier reichte eine Akkufüllung praktisch für 75 Kilometer, weshalb in unserem Fall die Batteriekapazität für den täglichen Arbeitsweg eine ganze Woche reichte.
Einige Male sind wir dabei allerdings – weil’s einfach irre Spaß macht – in Boost gewechselt. Vermutlich wären bei strengerer Reichweiten-Disziplin auch über 80 Kilometer drin gewesen. Anders als bei manchen günstigen E-Rollern aus China, die man fast schon täglich nachladen muss, bietet die starke e-Schwalbe ein für die tägliche Nutzung bereits komfortables Reichweitenfenster. Der Bordcomputer passt die Reichweitenanzeige kontinuierlich an den Fahrstil an und sagt mit sinkendem Stromvorrat immer verlässlicher voraus, wie weit man noch kommen kann.
Akkus nicht herausnehmbar
Erst wenn die Reichweitenprognose unter 5 Kilometer sackt, wird die Leistungsabgabe spürbar gedrosselt. Das anschließende Laden über einen 230-Volt-Anschluss war mit gut 4 Stunden einigermaßen kurzweilig. Allerdings lassen sich die Akkus nicht herausnehmen. Wer keine Garage mit Steckdose hat, könnte als Laternenparker vor einem Problem stehen. Was man im Alltag außerdem als Manko erlebt, ist die Abwesenheit von Staufächern. Lediglich unter der Sitzbank bietet die Schwalbe noch Platz für etwas Kleinkram, doch selbst ein Jethelm lässt sich hier nicht unterbringen.
ABS auf Wunsch
Neben guter Reichweite und dem auf Knopfdruck faszinierend dynamischen Vortrieb gehören auch eine solide Verarbeitung, ein angenehmer Federungskomfort und eine insgesamt gelungene Fahrwerkstabstimmung zu den weiteren Vorzügen der Schwalbe. Allerdings liegen dem auf schmalen 16-Zoll-Rädern stehendem Retro-Mobil eher langgezogene Kurven. Mancher 12-Zoll-Scooter lässt sich handlicher, williger und mit mehr Schräglage um enge Kurven im Stadtverkehr bugsieren. Wiederum lobend erwähnen muss man das hervorragende Abblend- und Fernlicht, die soliden Rückspiegel, den sauberen Riemenantrieb, vernünftig dimensionierte Bremsgriffe und zudem gut dosierbare Bremsen, die sich auf Wunsch auch mit ABS aufrüsten lassen.
Weil etliche Details der e-Schwalbe im Vergleich zur oftmals deutlich günstigeren Konkurrenz aus Fernost überzeugender und besser gemacht sind, scheint der zugegeben nicht gerade günstige Preis dennoch angemessen. Mario Hommen/SP-X
Govecs e-Schwalbe (90 km/h) – Technische Daten:
Motor: Bürstenloser Elektromotor, Antrieb über Zahnriemen, Spitzen- und Dauerleistung: 8 kW/11 PS bzw. 3,2 kW/4,4 PS (Go) oder 4,7 kW/6,4 PS (Cruise). Höchstgeschwindigkeit: 90 km/h. Realistische Reichweite laut Hersteller: 90 km im Modus Go. Reichweite im Test: 75 Kilometer im Modus Go. Verbrauch im Test 4,8 kWh/100 km. Standardlademodus ca. 5 h.
Fahrwerk vorne/hinten: Teleskopgabel/zwei Federbeine. Bremsen vorne/hinten: Scheibe/Scheibe, Maße und Gewichte: Länge 1,96 m, Höhe 1,13 m, Breite 0,88 m. Leergewicht 135 kg, Zuladung 153 kg.
Preis: 6.814 Euro
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