In der Diskussion, ob der Riemen oder die Kette die bessere Wahl ist, gibt es viele Argumente. Wir überprüfen zehn davon.
Radfahrende wollen möglichst schnell und effizient vorankommen. Mit dem Ketten- und Riemenantrieb gibt es derzeit zwei marktreife Varianten der Kraftübertragung von der Kurbel zum Hinterrad. Beide haben ihre Befürworter, und die Debatte über die jeweiligen Vorteile wird speziell in Internetforen emotional geführt. Dabei kommt es vor, dass persönliche Vorlieben, Hörensagen und Gerüchte anstelle von Fakten die Diskussion bestimmen. Wir überprüfen zehn häufige Argumente im Detail.
1: „Der Riemen braucht einen speziellen Rahmen“
Eine Fahrradkette lässt sich an jedem Kettenglied teilen und wieder zusammenfügen. Darum kann sie problemlos an jedem Fahrradrahmen verbaut werden, auch wenn die Kurbel außerhalb des Rahmens und das Ritzel am Hinterrad innerhalb des Rahmens liegt. Der Riemen ist hingegen nicht teilbar, sondern wird in einem Stück auf den Riemenscheiben montiert. Dafür muss der Hinterbau des Rahmens geöffnet werden. Dies erfolgt in der Regel durch ein kleines Rahmenschloss, das sich in den meisten Fällen an der rechten Sitzstrebe, also der Verbindung von Hinterradnabe zum Sattel, befindet. Zur Einstellung der Riemenspannung muss sich die Hinterradachse horizontal spannen lassen oder ein exzentrisch verstellbares Tretlager verbaut sein. Wichtig für Entwickler ist dabei, die richtige Rahmensteifigkeit zu gewährleisten. „Ansonsten verwindet sich der Rahmen zu stark und der Riemen kann unangenehme Laufgeräusche erzeugen. Deshalb werden die Rahmen intensiv getestet“, erklärt Frank Schneider vom Riemenhersteller Gates. Selbst für vollgefederte Mountainbikes gibt es mittlerweile Lösungen zur Montage eines Riemens – und zwar in Form von Umlenkrollen, die die Riemenspannung auch bei federnden Bewegungen des Hinterbaus konstant halten.
2: „Ein Riemen hält deutlich länger“
Eine pauschale Mindestangabe zur Kilometerleistung eines Riemens oder einer Kette zu geben, ist schwer. Reiseradler wie der Globetrotter Sven Marx berichten, dass sie ca. 30.000 Kilometer mit ihrem Riemen zurücklegten. Bei Ketten werden Maximalleistungen von ca. 10.000 Kilometern angegeben, wenn sie mit einer Getriebeschaltung kombiniert werden, um verschleißträchtigen Kettenschräglauf zu vermeiden. Es passiert natürlich immer wieder, dass Radfahrer diese Werte nicht erreichen. Zu stark fließen andere Faktoren wie Schmutz, Wetter und Pflege in die Laufleistung ein. Grob dient die Faustformel, dass bei vergleichbaren Bedingungen ein Riemen rund zweieinhalb bis dreimal länger halten kann. Entscheidend ist jedoch auch, dass der Riemen in der korrekten Flucht verläuft. Fachleute nennen dies Riemenlinie.
3: „Die Kette ist viel öfter verfügbar“
In Deutschland haben sich Räder mit Riemenantrieb mittlerweile am Markt etabliert. Weltweit ist die Verbreitung hingegen noch gering. Ist das für Reiseradler ein Problem? Stefan Stiener vom Reiseradspezialisten Velotraum findet: Ja. „Wir raten Reiseradfahrern nicht uneingeschränkt zum Riemenantrieb.“ Gerade Weltreisende kämen immer wieder an Orte, wo sie nicht einfach Ersatz erhalten könnten. Und im eng bemessenen Gepäck nehme ein Riemen mehr Platz weg als eine Kette. Folgerichtig bietet Stiener die hauseigenen Stahlrahmen für den großen Reiseeinsatz im Gegensatz zu seinen anderen Konzepträdern ohne Riemenöffnung an. Sven Marx widerspricht: „Ich habe immer einen Ersatzriemen dabei. Der ist zwar größer, aber leichter als eine Kette. Zur Not kann man sich einen Riemen auch an weit entfernte Orte schicken lassen. Das ist heutzutage weder ein Problem noch eine Sache von Wochen.“
4: „Eine Kette ist wartungsintensiver“
Eine Kette braucht regelmäßig Service – das wissen Radfahrende. Dreck entfernen und neues Öl auftragen sollte man mehrmals im Jahr. Im nass-salzigen Winter wird sogar nach jeder Fahrt dazu geraten. Anders beim Riemen: Selbst bei starken Verschmutzungen reicht es, wenn man ihn einfach mit Wasser und ein wenig Putzmittel abspritzt. „Bei meiner Weltumrundung war ich Dauerregen oder Sandpisten ausgesetzt. Bedingungen, die eine Kette an ihre Grenzen bringen. Der Riemen lief einwandfrei und ohne Service“, erzählt Sven Marx. Selbst der Ausbau des Hinterrades, etwa beim Reifenwechsel, läuft problemlos. Einzig die Spannung sollte man beim Riemen im Zuge eines Services kontrollieren.
5: „Ein Riemen längt sich nicht“
Egal ob Riemen oder Kette: Beide nutzen sich über die Zeit ab. Eine Kette längt sich sukzessive, was den Verschleiß des gesamten Antriebs beschleunigt. Durch die konstante Bewegung der Kette werden die Verbindungsbolzen zwischen den Kettengliedern im Laufe der Zeit kleiner geschliffen. Dadurch kommt es zu mehr Spiel in den Gelenken und über die Dauer zu einer Längung, die die Effizienz und den Wirkungsgrad des Systems insgesamt herabsetzt. Anders beim Riemen: Dieser kann sich nicht längen, da im Inneren Zugstränge aus Carbonfasern oder, bei älteren Modellen, aus verdrilltem Aramid verlaufen. Das macht den Riemen allerdings bauartbedingt empfindlicher gegen seitliche Stöße oder Schläge. Sie können den Riemen beschädigen, etwa wenn sich ein Ast im Riemen verfängt.
6: „Eine Kette ist günstiger“
Die Preisfrage ist ebenfalls nicht pauschal zu beantworten, da sie stark von der Qualität aller Komponenten abhängt. Volker Dohrmann von Stevens beschreibt: „Einzelne Riemen beginnen modellabhängig bei rund 50 Euro, auch hochwertige Ketten spielen preislich in dieser Liga. Günstigstenfalls sind Ketten bereits für unter zehn Euro erhältlich.“ Ketten müssen jedoch häufiger gewechselt werden und auch die Kosten für verschlissene Ritzel und Ritzelkassetten, Kettenblätter, Kettenöl und Kettenreiniger belasten das Budget von Kettennutzern über die Zeit. Das macht den Riemen langfristig gesehen zum eigentlichen Preis-Leistungs-Sieger, obwohl er in der Anschaffung auf den ersten Blick teurer ist und der Rahmen konstruktiv auf den Riemen angepasst sein muss – was wiederum den Rad-UVP beeinflusst und eine Nachrüstung meist ausschließt.
7: „Eine Kette erzielt einen besseren Wirkungsgrad“
Eine gut geschmierte, neue Kette erreicht einen besseren Wirkungsgrad als ein Riemen. Die Folge: Von der Beinkraft kommt mehr am Hinterrad an. In Kombination mit einer Kettenschaltung ist sie deshalb das Effizienz-Optimum eines Fahrradantriebs. Naben- und Getriebeschaltungen reduzieren hingegen die Effizienz, egal ob mit Kette oder mit Riemen betrieben. Die Kraftübertragung ist mit deutlich höheren inneren Reibungsverlusten verbunden als sie etwa die Röllchen eines Schaltwerks verursachen. Hat der Riemenantrieb also einen systembedingten Nachteil, weil er nur mit Naben- oder Zentralgetriebeschaltungen kombiniert werden kann? Nein, meint André Joffroy von Trail.camp, dem Vertriebspartner der Schaltungen von Kindernay: „Getriebeschaltungen punkten mit ihrer Wartungsarmut und ihrer längeren Haltbarkeit. Da die Schaltkomponenten in einem geschlossenen System sind, wird der Verschleiß deutlich minimiert und der Wirkungsgrad bleibt über längere Zeit konstant hoch.“ Das sei aber viel Theorie, die in der Praxis kaum eine Rolle spiele. „Für den Alltag sind all diese Unterschiede in der Regel nicht spürbar. Rollwiderstand, Reifendruck, Wind oder gänzlich ungepflegte Antriebe machen da viel mehr Kraftverlust aus“, so Joffroy.
8: „Ein Riemen erzielt einen besseren Wirkungsgrad“
Der Wirkungsgrad des Riemens wird bei steigender Wattzahl bzw. bei höherer Krafteinfuhr stetig besser. Bei einem höheren Drehmoment genießt der Riemen einen Effizienzvorteil gegenüber der Kette, speziell wenn das Rad als Fixie oder Singlespeed gefahren wird und kein Reibungsverlust über eine Gangschaltung erfolgt. Somit wäre aus Effizienzgründen der Riemenantrieb zumindest in Disziplinen ohne Schaltung wie Bahnsport oder BMX die beste Wahl. „In den verbreiteteren Radsportarten wird allerdings mit Schaltung gefahren – auf der Straße wie im Gelände. Aufgrund ihrer Effizienz, ihrer individuellen Anpassungsmöglichkeiten und ihres niedrigeren Gewichts ist die Kettenschaltung im Radsport nach wie vor das Nonplusultra“, heißt es vom Sportradanbieter Cannondale.
9: „Ein Riemen reißt leichter“
Im Mai 2018 ging der Rückruf des sogenannten Ikea-Rades durch die Presse, der aufgrund eines möglichen Riemenrisses veranlasst wurde. Der Riemen per se kam in Verruf, obwohl er das nicht verdient hatte. Plötzliche Riemenrisse kommen bei Qualitätsprodukten und richtiger Anwendung in der Praxis eigentlich nicht vor. Ein Riss tritt erst nach langer Zeit ignorierten Verschleißes auf oder ist in der Regel auf eine fehlerhafte Montage der Riemenscheiben, eine nicht korrekte Riemenspannung oder falsche Handhabung zurückzuführen. Aber auch der Aufbau des Riemens ist mitentscheidend für seine Qualität.
10: „Der Riemen ist wintertauglicher“
Durch den wasserfesten Aufbau aus Polyurethan bzw. Polymer sind Riemen-Antriebe gegen Rost gefeit. Auch Salzwasser setzt ihnen nicht zu. Bei Ketten sieht das ganz anders aus – sie brauchen winters viel Zuwendung. Zudem sind Leistungseinbußen beim Riemen bis minus 20 °C nicht spürbar. Darum entscheiden sich viele Radreisende und Alltagsfahrer für ein wartungsarmes Gesamtpaket, das oft aus einem Riemen in Verbindung mit einer Getriebeschaltung besteht. „Aber auch Ketten haben unter Vielfahrer weiterhin ihre Fans, etwa, weil man sie im Ernstfall überall reparieren kann. Mit passend auf die Kette abgestimmte Ritzel und Kettenblätter überzeugt auch dieses Gesamtpaket“, so Joffroy.
Fazit:
Die Entscheidung zwischen Kette oder Riemen ist eine persönliche. Beide Antriebsvarianten haben ihre Vor- und Nachteile. Viele der Argumente beeinflussen sich gegenseitig. Je nach Ansprüchen und Vorlieben der Radfahrer/innen lassen sich Fahrräder mit sehr unterschiedlichen, aber jeweils passenden Antrieben aufbauen. pd-f/Titelfoto: www.pd-f.de / Sebastian Hofer
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