Vor 50 Jahren brachte Renault den R5 auf den Markt und revolutionierte damit die Kleinwagenwelt. Er schrieb (Auto-)Geschichte.
Knallbuntes Plastik war vor 50 Jahren Pop-Art, und Medien, die diesen Kunststoff-Kult feierten, reisten entweder nach New York, wo das Museum of Modern Art fast alle Protagonisten der Plastik-Kunst für eine Vernissage vereinte – oder nach Paris, wo Renault am 28. Januar 1972 die Geheimnisse seines sensationellen Cityflitzers R 5 preisgab. Der vom Nachwuchsdesigner Michel Boué gezeichnete Renault 5 präsentierte sich als erstes Automobil mit Polyester-Schutzschilden statt Chromstoßstangen gegen Parkrempler, dazu poppigen Lackierungen á la Giftgrün und Schock-Orange und ebenso schrillen Interieurfarben.
Gestartet als Zweitürer
Vor allem aber mit einem genialen Kleinwagenkonzept, das viele zu kopieren versuchten, ohne aber die Originalität des Renault 5 zu erreichen. Sprengte der 3,51 Meter kurze und nur knapp über 700 Kilo wiegende R5 doch traditionelle Fahrzeugkategorien. So startete er als Zweitürer mit großer Heckklappe, obwohl die Grande Nation ihre kleinen Volkshelden damals ausschließlich viertürig kaufte, wie Simca 1000, Citroen 2 CV und der neue Peugeot 104 zeigten. Sogar der als Hochdachkombi gezeichnete R 4 hatte vier Türen, mit ihm teilte sich der kostspieligere dreitürige R5 aber manch´ technische Komponente. Allerdings reichte das Typenportfolio für „la Cinq“ vom Sparkönig mit frugalen 25 kW/34 PS über furiose Alpine-Hot-Hatches bis zum exklusiven Mittelmotor-Renner R 5 Turbo mit 118 kW/160 PS. So viel Kreativität und Diversität machten aus Nummer 5 eine Erfolgsstory, die es in zwei Generationen und 22 Jahren auf neun Millionen Einheiten brachte. Fortsetzung folgt: Renault hat unlängst ein elektrisches R-5-Concept gezeigt.
Der Wegbereiter
Wenn in den statusorientierten 1970ern erfolgreiche Menschen plötzlich anstelle eines stattlichen Mittelklassemodells einen Kleinwagen fuhren, so lag dies auch an dem prägenden Einfluss der Stilikone R5. Als erstes ebenso praktisches wie pfiffig gestyltes dreitüriges Stadtauto befreite er sich vom eher negativen Kleinwagenimage, wie es besonders die vielen konservativen Heckmotor-Typen kennzeichnete. So bahnte der moderne französische Fronttriebler den Weg für viele modisch schicke Nachahmer wie Audi 50, VW Polo oder Ford Fiesta. Sogar der von Journalisten zum „Auto des Jahres 1972“ gekürte Fiat 127 folgte später dem Vorbild des Renault 5 und war mit Heckklappe verfügbar.
„Geschenk der Musen“
Auch in der Couture fuhr der von Fachleuten als „Geschenk der Musen“ gepriesene Trendsetter aus Paris dem Turiner Bestseller voraus. Galten doch die Kunststoffstoßfänger des Renault 5, ab 1975 als GTL-Ausstattung auch an den Karosserieflanken, als kühner Futurismus zu einer Zeit, als sich die modebewusste Dame in bonbonfarbene Lackstiefel gewandete. Mit kecker Polyester-Front sowie großen Scheinwerfern blinzelte der kleine Franzose 1972 in eine Welt, die sich an Mini- und Maxiröcke oder Hot Pants rasch gewöhnt hatte, aber Plastik-geschmückte Autos noch eine halbe Dekade als Avantgarde empfand. Deshalb wirkte der R5 zehn Jahre nach seinem Debüt immer noch frisch, wozu beitrug, dass erst jetzt endlich die letzten Wettbewerber auf den Trend der Plastikplanken aufsprangen – aber auch die staatstragende Mercedes S-Klasse (W 126) diesen Schmuck anlegte.
Ein gefühlsbetontes Wesen
Entsprechend der sozio-ökonomischen Positionierung des Renault 5 – schon Designer Michel Boué sah sein neues Citycar „als Auto, das soziale Grenzen überschreitet und in dem die Frau von Welt, der Arzt und der Arbeiter sich vor einer roten Ampel treffen können und jeder sich gleichermaßen wohl fühlt“ – wurde die Werbung für das Massenmodell emotional aufgeladen und erstmals im Comic-Stil gestaltet. Dabei plauderte der orangefarbige „Fünfer“ munter mit seinem Publikum, boxte sich aus engen Parklücken heraus und schlängelte sich frech durch den Verkehr. Der Renault 5 präsentierte sich als gefühlsbetontes Wesen und vorlauter Superstar: „Nie auf den Mund, außer mit ganz Bestimmten!“ stellte er in einer Anzeige klar – und knutschte einem Rolls-Royce den Kühlergrill ab.
„Hexe mit Düsenantrieb“
Dagegen raste der heißblütige Sportler R5 Alpine Turbo ab 1982 auf Plakaten als schnelle „Hexe mit Düsenantrieb“ auf einer Art Überschall-Staubsauger durch die Lüfte. Emotional verlief 1984 auch der Wechsel zum Renault 5 der zweiten Generation: „Adieu monde cruel! (Lebe wohl, grausame Welt!)“, verabschiedete sich der Flitzer im Boué-Design, um seinem vom legendären Lamborghini- und Maserati-Designer Marcello Gandini in Form gebrachten Nachfolger das Feld zu überlassen. Schließlich hatten die Erzrivalen nachgelegt, Fiat mit dem Uno und Peugeot mit dem 205, der plötzlich den Dauerbestseller R5 in den französischen Zulassungscharts überholte.
Dann kamen Diesel und Sport
Renault wusste sich 1984 zu wehren. Mit einem neuen Modell, dessen Äußeres charmant wie bisher blieb, unter dem die Technik aber dem Zeitgeist folgte. Erstmals nagelten nun Dieselmotoren unter der Motorhaube der laut Marketing „frechsten dreieinhalb Meter der Welt“. Auch Sport konnte der Neue, wie muskulöse 85 kW/115 PS im Renault 5 GT zeigten. Für umweltbewusste Aktivisten gab es außerdem den Renault 5 GTL als ersten Kleinwagen mit Katalysator im Kampf gegen das Waldsterben, damals noch ein politisches Tagesthema. Nebenbei sanierte der Kleine die mittlerweile maladen Finanzen seines Herstellers. Und blieb so „Der kleine Freund“ für alle Fälle des Lebens, wie Renault seine Nummer Fünf nannte. Also alles wie am Anfang, vor 50 Jahren.
Aufstieg zum Weltauto
Damals, als in Deutschland noch der VW Käfer die Verkaufscharts bestimmte und Hersteller hierzulande meinten, mit Kleinwagen ließe sich kein Profit erwirtschaften, punktete der Renault 5 durch frühe Gleichteilestrategie mit den bewährten Modellen R4 und R6. Zum Gewinner machte den R5 immer neue Varianten wie sportliche LS/TS mit kräftigen 47 kW/64 PS oder eine optionale Getriebeautomatik, die den Komfort luxuriöser Straßenkreuzer bot. Tatsächlich sorgte der R5 als „Renault Le Car“ zwischen New York und Los Angeles für Aufsehen, und die Franzosen feierten dies in Europa mit Le-Car-Sondermodellen. Überhaupt war der avantgardistische Kleinwagen ein Weltauto, passte er sich doch leicht an die Vorlieben anderer Kulturen an. So lief er in Spanien als Renault Siete (7) mit Stufenheck und vier Türen vom Band, die es im restlichen Europa inklusive längeren Radstands erst 1979 in Verbindung mit Heckklappe gab.
…und zum Kraftmeier
Bei Sportfans unvergessen sind bis heute die ab 1974 ausgetragenen Markenpokalserien, eine Talentschmiede, die andere Hersteller adaptierten. Und dann die Rallye-Siege, die der 1980 eingeführte Mittelmotor-Renner R5 Turbo mit Hinterradantrieb und bis zu 300 kW/408 PS einfuhr. Im Alltagsverkehr reichten dem Turbo-Pionier 118 kW/160 PS, um sich in Sprint-Derbys mit einem Porsche 911 SC zu messen. So viel Feuer ist vom für 2024 angekündigten vollelektrischen Renault 5 nicht zu erwarten, aber die faszinierende Couture des Kleinen wird der bereits als Concept gezeigte Stromer in die Zukunft führen. Wolfram Nickel/SP-X
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