Audi eröffnet bald seinen ersten Charging Hub: Dieser bietet vor allem den Nutzern der eigenen Marke Vorteile.
Wer zielsicher die hässlichsten Ecken Europas finden möchte, der macht sich am besten auf große Fahrt mit einem Elektroauto: Garantiert lernt der Reisende dabei Hinterhöfe am Rande der Stadt, trostlose Gewerbegebiete und die finstersten Winkel von Autohöfen im ländlichen Nichts kennen und fürchten. Das Abenteuer Ladestation zeigt allzu oft, dass die öffentlich zugängliche Infrastruktur gerade für Vielfahrer einen Strom düsterer Erlebnisse bereithält.
Premium ist das gerade nicht – und das hat Tesla schon lange erkannt: Darum haben die Amerikaner mit dem Verkauf ihrer Stromer auch ein Netz von sogenannten Superchargern eingerichtet. Schick gestylte Schnelllader, exklusiv für die Kunden an Knotenpunkten des Verkehrs. Allein in Europa gibt es gegenwärtig rund 2.000 davon. Nur meistens auch in eher karger Umgebung; die mitgebrachte Semmel und das Handy ist der einzige Zeitvertreib beim Aufladen – und bei Dauerregen ist während des Anstöpselns nicht selten eine Gratisdusche inklusive.
Eröffnung am 23. Dezember
Dennoch: Von Tesla lernen, heißt siegen lernen – vor allem, wenn man es besser macht: Das ist ein Ansporn für Ralph Hollmig. Das Ergebnis der Arbeit des Audi-Projektleiters an diesem Ziel ist passend ein paar Tage vor Weihnachten am Messezentrum Nürnberg zu sehen. Dort eröffnet der Hersteller am 23. Dezember seinen ersten „Charging Hub”.
Zwei Minuten von der A73 entfernt, U-Bahn vor der Tür, ein neues Wohngebiet gegenüber und ein Park um die Ecke – „das ist der ideale Standort für uns”, so Hollmig. Denn Audi zielt mit seiner Schnellladelösung auf das urbane Umfeld – für den eiligen Durchreisenden auf großer Fahrt soll die Schwestermarke Porsche ein Konzept entwickeln. Der Audi-Hub sieht aus wie eine Mischung aus überdachter Ladestation und Lounge im Obergeschoss. Genau das soll auch die Kunden begeistern. „Das soll nicht nur eine Lösung für künftige Spitzenbedarfe bieten, sondern das Laden zu einer aktiv genutzten Lebenszeit machen”, so Hollmig. In den 20, 30 Minuten, die der Durchschnittsbesucher dort Halt macht, kann er nach Eingabe eines Passworts, das ihm die Ladesäule anzeigt, die Tür im ersten Stock öffnen und Pause machen.
Nur Audi-Nutzer dürfen in die Lounge
Allerdings ganz ähnlich wie in manchem Flughafen in Economy- oder Business-Class: Demjenigen, der mit Hyundai, Ford, Mercedes, Dacia oder BMW die Schnelllader nutzen will, steht nur ein kleiner karger Raum mit Snack- und Kaffeeautomaten, harter Sitzbank und Toilettenzugang zur Verfügung. In die viermal so große Audi-Lounge mit Balkon, Sofas und Arbeitsecke kommt nur, wer auch mit einem Auto der Ingolstädter anreist. Und nur der kann sich auch vorab eine der sechs Säulen zum Laden reservieren, die dann kurz vorher mit einer ausklappbaren Barriere für ihn blockiert wird.
Gleiche Ladepower für alle
Bei der Füllgeschwindigkeit der Akkus gibt es aber keine Zweiklassengesellschaft: Alle überdachten und gut ausgeleuchteten Ladepunkte liefern den Nutzern bis zu 300 kW Leistung. Das Aufladen eines Audi e-tron GT von fünf auf 80 Prozent etwa ist damit unter Idealbedingungen in rund 23 Minuten geschafft. Wer Audis eigene etron-Charging-Karte nutzt, zahlt dafür in der Pilotphase erstmal nur 31 Cent pro Kilowattstunde. Die Preise für Fremdkunden haben die Audianer noch nicht kommuniziert.
Dass den im Energiemanagement miteinander verbundenen Säulen bei großem Andrang der Saft ausgeht, müssen die Kunden übrigens nicht befürchten – obwohl der Charging Hub nur an einem gängigen 400-Volt-Starkstromanschluss hängt. Der Trick dabei steckt hinter den schwarzen Wänden des Erdgeschosses: Als Basis für die Station dienen sogenannte Cubes. Die flexiblen Container-Würfel, an deren Vorderfront die ausfahrbaren Ladesäulen stecken, beherbergen gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien aus Audi-Versuchsfahrzeugen als Stromspeicher. Sie sind ein Pufferspeicher für Gleichstrom – und verfünffachen damit die Gesamtleistung der Station auf 960 kW Ladeleistung. Das öffentliche Netz lässt praktisch „nur kontinuierlich Ökostrom nachtröpfeln, so wie er im Cube gebraucht wird”, erklärt Hollmig. Eine Leistung ab 11 kW pro Cube ist dadurch ausreichend, um die Speichermodule mit einer Gesamtkapazität von 2,45 Megawattstunden kontinuierlich zu füllen und über Nacht aufladen zu können. Auch Solarzellen auf dem Dach helfen beim Nachladen.
Pro Hub ein Monat Bauzeit
Weil die Station keine Hochspannungsleitung nebst Transformatoren braucht, ist auch die Genehmigung und der Aufbau viel schneller und einfacher. In einem Monat steht ein neuer Hub dort, wo Hollmig ihn braucht. Nur wo das sein wird, das weiß der Projektleiter auch noch nicht so genau: „In den kommenden drei Monaten testen wir das Konzept erst einmal.” Wie viele E-Autos kommen? Welche Marken? Wann? Nutzen die Besucher die Lounge, die angebotene Wagenwäsche, Testfahrten oder den E-Scooter-Verleih am Hub? Es gibt noch eine Menge Fragen, deren Antworten Hollmig nicht kennt.
Viele Fragen offen
Vom Erfolg des Nürnberger Versuchs wird auch abhängen, ob Audi seine Charging Hubs europaweit in Citynähe platziert. Von bis zu 300 Stationen unterschiedlicher Größe hat das Handelsblatt unlängst spekuliert – eventuell in Kooperation mit einem Mineralölkonzern oder dem Ionity-Netzwerk ruckzuck aufgebaut. Die Hubs könnte aber auch der Volkswagen-Konzern vor allem für die Kunden seiner Marken in Eigenregie betreiben. Laden und Lounge könnte also bald schon fast in jeder Großstadt üblich werden.
Allzu lang zögern sollten die Ingolstädter und ihre Konzern-Verbündeten ohnehin nicht: Elektro-Erzrivale Tesla hat nämlich ganz ähnliche Pläne. Die gut besuchten Supercharger-Stationen sollen ebenfalls zu heimeligen Elektro-Lounges werden. Das Model S, 3 oder Y laden dann dort von einem Solardach geschützt vor Platzregen. Und die Kunden können sich dieweil gegen Bares mit Speis und Trank versorgen. Künftig könnte also eine ganz andere Frage die Autowahl mitbestimmen: Wo schmeckt´s besser beim Laden – und wer veranstaltet die schönere Show? Peter Weißenberg/SP-X
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