Audi beginnt seine E-Auto-Offensive mit dem e-tron im Oberklassesegment. Macht das Sinn? Ein Fahrbericht.
Wir waren ratlos. Schon der zweite Blick auf den Audi e-tron ließ uns stutzen: Wir hatten die Heckklappe geöffnet (elektrisch natürlich), doch das in den Boden versenkte Fach war leer. Sollten da nicht die Ladekabel verstaut sein? Und auch unter dem Kofferraumboden fand sich kein Kabel, sondern bloß ein Notrad.
Nun gut, es wird sich schon finden. Immerhin hatten wir schon eine andere Information: Der Fahrer, der uns den e-tron gebracht hat, war von Ingolstadt aus rund vier Stunden unterwegs gewesen – mit zwei Ladestopps an Schnelladern der Firma Ionity. Und der e-tron kam zu 80 Prozent geladen bei uns an. Also musste es ja irgendwo sein, das Kabel.
Das Kabel unter der Haube
Also Blick in das Handbuch, und siehe da: Unter der Motorhaube (!) findet sich ein weiteres Staufach für die Kabel – je eines für die Schnelladeanschlüsse sowie eines für die Haushaltssteckdose. Die wir auch gleich anschlossen: 2,1 kW kriechen je Stunde in die 90 kWh große Batterie, man kann sich leicht ausrechnen, wie lange der e-tron steht und wie wichtig eine Wallbox ist, die immerhin 11 kW schafft. Der Finderdruck auf den eingelassenen Button neben der Klappe auf der linken Fahrzeugseite vorn öffnet den Verschluss; möchte man das Kabel abnehmen, muss man auch zuerst diesen Knopf drücken. Dann entriegelt sich der Stecker. Sollte das einmal nicht funktionieren, finden sich darüber im Motorraum zwei Notentriegelungsösen: eine für die Freigabe des Steckers und eine für die Klappe. Wir haben sie nicht benötigt.
Zu wenige Ladesäulen
Das Strommanagement in all seinen Facetten ist denn auch das zentrale Thema des e-tron. Und treibt Sorgenfalten auf die Stirn des Besitzers, denn selten ist uns bewusster geworden, wie lückenhaft das Netz der öffentlichen Ladesäulen noch ist. In unserer 30.000-Seelen-Gemeinde finden sich gerade mal zwei Ladepunkte, wovon eine am örtlichen Aldi installiert ist und bis zu 22 kW spendet. Allerdings nur eine Stunde lang – dann ist Schluss. In der ersten Woche unserer Testfahrten war sie zudem außer Betrieb.
Laden beim Möbelgiganten
Zweiter großzügiger Spender im weiteren Umkreis ist eine schwedische Möbelkette, die vier Ladepunkte bietet, doch diese waren an einem Samstag mittag alle besetzt. Glücklicherweise fuhr ein Stromer nach 10 Minuten weg, so dass wir uns einen (kostenlosen) Schoppen Strom (22 kW) genehmigen konnten. Wallboxen hängen auch – immerhin 16 an der Zahl – am Frankfurter Flughafen in Parkhaus P2. Auch hier kann man kostenlos zapfen, mit 3,7 kW. Ansonsten hieß es: langsames Laden zu Hause (über Nacht). Auf Fernreisen ist man auf die Ionity-Schnelllader angewiesen, die bis zu 150 kW leisten und mit denen man kaum eine halbe Stunde verharren muss, bis 80 Prozent erreicht sind. Insgesamt werfen diese Erfahrungen die Frage auf, wie die Infrastruktur damit zurecht kommen soll, wenn bald mehr E-Autos unterwegs sein werden – etwa wenn die Förderung jetzt greift.
Zweiter Anschluss optional
Doch zurück zum Audi: Ein zweiter AC-Anschluss auf der rechten Fahrzeugseite ist übrigens als Sonderausstattung bestellbar. Das Onboard-Ladegerät mit 11 kW ist praxistauglich, optional verdoppelt ein zweites den Wechselstromfluss auf 22 kW. Denn Strom benötigt man reichlich. Wir kamen bei unseren eher gemütlichen Fahrten auf einen Schnitt von 29,8 kWh auf 100 Kilometer. Hat man es ein wenig eiliger, ist man schnell bei 35 kWh und mehr. Das heißt: mehr als 305 Kilometer Reichweite bekamen wir nie angezeigt, auch wenn der Akku zu 100 Prozent geladen war. Dies dürfte auch an Temperaturen um den Gefrierpunkt gelegen haben, die zu der Zeit herrschten.
Ein Auto für das Reisen
Da stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, diesen Antrieb mit so viel Auto zu verbinden. Denn der e-tron 55 quattro wiegt um die 2,6 Tonnen, und die wollen ja schließlich bewegt werden. Am liebsten würde der große Audi auf langen Strecken rollen, auf denen er seinen Komfort, sein überlegenes Fahrwerk und seine Reisetauglichkeit voll ausspielen kann und wo es nicht so störend ist, dass er mit Großstadt-Parkhäusern auf Kriegsfuß steht.
Das ist zwar möglich, doch sollte man die halbstündigen Pausen zum Laden eben einplanen. Und wenn es um die Energiekosten geht, dann fährt ein Verbrenner nicht teurer. Rechnen wir nach: Bei einem Verbrauch von 30 kWh auf 100 km und einem Strompreis von 30 Cent je kWh kosten 100 Kilometer 9 Euro. Für jene 9 Euro bekommt man 7,2 Liter Diesel (Preis 1,25 €) oder 6,66 Liter Super E10 (1,35 €). Wer also viel auf Autobahnen fährt, der dürfte den e-tron auch nicht aus Kostengründen erwählen.
Elektrisches Fahren ist etwas Besonderes
Auf der anderen Seite muss man einfach konstatieren, dass auch der Tesla Model S, der in ähnlichen Preisregionen unterwegs ist wie der Audi, genügend Käufer und Fans gewonnen hat. Luxus macht an. Denn der Testwagen war wie üblich üppig ausgestattet, mit ergonomischen Sitzen versehen und mit dem erwähnten souveränen Fahrwerk. Vier Passagiere finden auskömmlich Platz, und im Kofferraum kann man 660 bis 1.725 Liter Gepäck unterbringen.
Was den e-tron – wie andere E-Autos auch – aber für viele so attraktiv macht, ist die Art des Fahrens. Wie an der Schnur gezogen surrt er von dannen, die Kraft lässt sich wunderbar dosieren, an der Ampel stört kein Startvorgang, die Traktion ist perfekt. Auch wenn es mittlerweile grandiose Automatik- und DSG-Getriebe für Verbrennerautos gibt: elektrisches Fahren ist etwas Besonderes. Ein Sprinter ist er dennoch nicht, seine 408 PS haben mit den 2,6 Tonnen letztlich doch spürbar ihre Last.
Jaja, der Preis…
Drei Monitore und ein erstklassiges Head-up-Display halten den Fahrer stets auf dem Laufenden, deren Tasten ein ganz klein wenig stärker berührt werden müssen als bei einem „normalen“ Touchscreen – erst dann wird der Befehl befolgt. Bemerkenswerte Schwächen fielen uns nicht auf; irritiert waren wir nur, dass sich die automatische Handbremse nicht immer von alleine aktivierte, und der tiefe Mitteltunnel erschien uns nicht sehr praktisch.
Der betörende Luxus hat freilich einen Preis. Ab 80.000 Euro brutto steht der Audi e-tron 55 quattro in der Liste; „nackt“ wird indes keiner den Hof des Händlers oder das Auslieferungslager in Ingolstadt verlassen. Viel wahrscheinlicher ist, dass er ähnlich ausgestattet ist wie unser Testwagen, der auf einen Preis von rund 106.000 Euro kam – eine Wallbox nicht eingerechnet.
Fazit: Braucht Elektromobilität so viel Auto? Obwohl viele Tesla-Fans diese Frage bereits beantwortet haben, sollte man fragen, ob ein E-Auto nicht vielleicht besser in eine Stadt passt und deswegen ein, zwei Stufen kleiner dimensioniert sein sollte. Das aber muss jeder für sich beantworten, zumal eine Umweltprämie auf diesem Preisniveau entfällt. HM
Audi e-tron 55 quattro – Technische Daten:
Fünftüriges, fünfsitziges SUV mit Elektroantrieb, Länge: 4,90 Meter, Breite: 1,93 Meter, Höhe: 1,62 Meter, Radstand: 2,92 Meter, Kofferraumvolumen: 660/1.725 l.
Zwei Elektromotoren mit 265 kW/408 PS, dreiphasiger Lader mit max. 150 kW (DC) und 11 bzw. 22 kW (AC), maximales Drehmoment: 664 Nm ab 1 U/min, 0-100 km/h: 6,6 s, Vmax: 200 km/h, Batteriekapazität 95 kWh, Durchschnittsverbrauch (WLTP-Zyklus): 22,4 – 26.4 kWh/100 km, Testverbrauch 29,8 kWh l/100 km, CO2-Ausstoß: 0 g/km, Effizienzklasse: A+, Preis: ab 80.900 Euro.
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