Der Audi e-tron GT sieht gut aus und verspricht innovative (Lade-)Technik. Ein Auto für jeden ist er aber nicht. Ein Fahrbericht.
Fotos hatten wir von ihm viele gesehen, und je mehr wir uns in das Design hineinsahen, desto besser gefiel es uns. Keine Frage, der Audi e-tron GT ist eines, wenn nicht gar DAS schönste Auto 2021. Die klassische Coupéform, die breiten Radhäuser, die elegant gestaltete Front in zwei Farben, die fließende Silhouette – all das vereint Sportlichkeit mit zeitloser Eleganz. Nicht wenige Köpfe verdrehten sich während unserer Testzeit, vorwiegend die männlichen.
Weitere Eindrücke finden Sie auch in unseren Test-Tagebuch zum Audi e-tron GT.
Noch schöner ist, dass der e-tron GT ausschließlich elektrisch angetrieben wird und Leistungsdaten mitbringt, die ihn als Sportler ausweisen: 350 (in der Spitze 390) kW Power ab der ersten Umdrehung der beiden permanenterregten Synchronmaschinen (eine vorn, eine hinten), Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 4,1 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 245 km/h. Das sind Werte, die sonst fast nur starke Motorräder erreichen und die umso beeindruckender sind als die Kraft die Insassen ohne Unterbrechung in den Sitz drückt, solange man den Stromfuß ans Bodenblech presst.
Wie auf Schienen
Beeindruckender fast ist aber das Kurvenverhalten. Der niedrige Schwerpunkt durch die tief platzierten Akkus, die breite Spur, die mächtigen 305er Reifen vermögen den GT wie kaum ein anderes Serienfahrzeug in die Spur zu pressen. Wie auf Schienen folgt er auch bei höheren Geschwindigkeiten stur den Vorgaben des Lenkrads, bleibt stets neutral und gut beherrschbar. Da auch der Fahrer in den vorzüglichen Sitzen guten Seitenhalt findet, mutieren kurvige Strecken zum Funparcours. Diese Souveränität unterstrich der allrädrige GT auch bei ersten Schneefällen im Taunus Ende November. Der e-tron zeigte sich von den frisch verschneiten Landstraßen trotz Kurven und Gefälle vollkommen unbeeindruckt.
Selten: Das Zweigang-Getriebe
Von der Tätigkeit des Zweigang-E-Getriebes bekommt man übrigens kaum etwas mit. Im Normalfall fährt der Wagen immer im zweiten Gang an. Nur wenn der Fahrer stark beschleunigt oder die Launch Control aktiviert, schaltet der e-tron GT in den kürzer übersetzten ersten Gang. Nun ja, im eher überfüllten Rhein-Main-Gebiet bleibt das eher die Ausnahme; wenn man aus dem Stand beschleunigt, spürt man den Übergang ganz zart.
Die Sportlichkeit zeitigt freilich auch Nachteile. Wegen der geringen Sitzhöhe muss man sich beim Einsteigen schon ein wenig in Auto schlängeln – auch, weil zwischen Lenkrad und Sitzlehne nicht sehr viel Abstand herrscht. Hier hätten wir uns jene Automatik gewünscht, die den Sitz zurückfährt, wenn man die Zündung deaktiviert. Kurz: Wer auf gemütliches Be- und Entsteigen Wert legt ist beim GT falsch. Apropos Zündung: Sie ist aktiviert, wenn man sich setzt, den Startknopf muss man nicht extra drücken.
Eingängige Bedienung
Hinter dem Volant angekommen, ist alles da, wo man es bei einem Audi verortet. Die Bedienung über den großen Touchscreen gelingt flott, für wichtige Einstellungen wie Sitzheizung oder heizbare Heckscheibe gibt es ebenso Schalter wie für die Temperatureinstellung – bravo. Gleiches gilt für das adaptive Fahrwerk (1.500 Euro Aufpreis), das stets im Comfortmodus beginnt. Ein kleines Hebelchen auf der Mittelkonsole lässt die Wahl zwischen D, N und R, das war´s. Üppig sind die Anzeigen im zentralen Display; der Ladestand wird über die Restkilometer sowie einen Ladebalken kommuniziert, eine SoC-Anzeige (prozentuale Ladestandsanzeige) fehlt leider.
Reichweite: Rund 350 Kilometer
Womit wir bei der Elektrik angekommen wären. Die Akkugröße beträgt brutto 93,4 und netto 83,7 kWh. Damit soll der e-tron GT laut WLTP-Norm 488 Kilometer weit kommen; doch das ist kaum realisierbar, zumal nicht im Winter bei Temperaturen zwischen Null und 10 Grad. Nach dem ersten Vollladen an heimischer Wallbox auf 100 Prozent stand in der Reichweitenanzeige nur 355 Kilometer zu lesen. Doch auf die kann man sich verlassen.
Während der Testfahrten schwankte der Verbrauch zwischen 20 kWh bei gemütlichem Bummeln im Eco-Modus bis zu mehr als 30, wenn man die 350 kW mal ein wenig von der Leine lässt – laut Bordcomputer, der einen Gesamtverbrauch über die Teststrecke von 663 Kilometer von 27,6 kWh auswies. Letztlich landeten wir bei 30,6 kWh auf 100 Kilometer, wobei wir einen Mix aus Landstraße, Autobahn und Stadt gefahren sind. Auch hier dürften die Temperaturen sowie die Ladeverluste eine Rolle gespielt haben.
Ein (Winter-)Thema für sich: Das Laden
Apropos Laden. Der e-tron GT ist ja mit einem 800-Volt-System ausgestattet, das schnelles Laden mit bis zu 270 kW ermöglichen soll. Was sich bei anderen Medien (und höheren Temperaturen) wohl bestätigte, bei uns indes nicht. Zweimal steuerten wir eine Ionity-HPC-Ladesäule an einer Autobahn an, zweimal das gleiche Ergebnis: Start bei rund 10 Prozent Restladung mit 76 kW. Danach erst vorsichtige, nach 10 Minuten schnellere Steigerung auf 150 kW. Doch schon knapp 10 Minuten später (bei 57 % Ladestand) sank die Leistung auf rund 100 kW und blieb dort fast 20 Minuten (siehe Chart). Bei 85 Prozent Ladestand ging es dann weiter bergab, und ab 92 Prozent SoC sank sie auf 68 kW.
Da wir beim ersten Mal argwöhnten, dass der Akku nicht vorgewärmt war, nachdem wir das Ladesymbol-Icon in der Navikarte angetippt hatten, haben wir beim zweiten Mal das Ziel per Suchfunktion ins Navi eingegeben. Fahrtzeit jeweils 20 Minuten. Eine Schnellladung bis 80 Prozent dauert so eine halbe Stunde. Wie sich herausgestellt hat, sind 20 Minuten Aufwärmzeit wohl zu wenig. Hier braucht es wohl wirklich eine Langstreckenfahrt, damit die Akkus bei um die 5 Grad zum Schnelladen bereit sind.
Schönheit hat ihren Preis
Übrigens: Die CCS-Ladedose befindet sich auf der Beifahrerseite; auf der Fahrerseite gibt es lediglich eine Typ-2-Dose für bis zu 22 kW. Das Navi plant bei längeren Touren übrigens die Ladestopps, wie man es von Tesla kennt, so dass man sich um dieses Thema keine Gedanken zu machen braucht. Wie verlässlich das klappt, konnten wir nicht eruieren.
Doch wie jeder weiß: Schönheit hat ihren Preis. Schon für die Basis überspringt Audi mit 101.600 Euro (Modelljahr 2022) die magische 100.000-Euro-Grenze. Und das ist nicht das letzte Wort, denn kein Exemplar dürfte ohne Extras über die Ladentheke gehen. Bei unserem Testwagen stehen letztendlich 126.660 Euro zu Buche, und das dürfte der Bereich sein, wo man mit einem vernünftig ausgestatteten GT landet.
Lange Aufpreisliste
Allein die Farbe „Suzukagrau-Metallic“ (ein Ton dunkler als Weiß) schlägt mit 1.050 Euro zu Buche. Und für Extras wie dem adaptiven Fahrwerk (adaptive air suspension/1.499 Euro), diverse Assistenzpakete (Parken, Stadt, Tour) oder das Carbondach (3.750 Euro) werden vierstellige Summen aufgerufen. Der Clou aber sind die Keramikbremsen, die zwar eine klasse Standhaftigkeit und ein tolles Pedalgefühl (trotz Rekuperation) bieten, für die aber 8.500 Euro aufgerufen werden. Und so kommt es, dass bei oben genanntem Endpreis im Testwagen kein Head-up-Display (1.400 Euro) verbaut war.
Toll: die Außenkameras
Aufgefallen ist uns das Paket „Umgebungskameras“ (1.150 Euro). Dann erfassen vier weitwinklige Umgebungskameras den gesamten Bereich unmittelbar rund um das Fahrzeug. Aus den Bilddaten wird eine Vielzahl verschiedener, durch den Touchscreen steuerbarer Ansichten ermöglicht. Damit kann man das Fahrzeug oder den Raum um das Fahrzeug lückenlos und aus der Vogelperspektive sowie von den Seiten überwachen. Man kann sich sogar beim (langsamen) Fahren selbst von außen beobachten.
In engen Gassen nicht immer eine Freude
Und so viel Spaß der Audi bei kurvenreichen Straßen auch macht, in den Frankfurter Vororten hat er uns trotz einer nur kurzen Durchfahrt den Schweiß auf die Stirn getrieben. Die Breite des Fahrzeugs sorgt dafür, dass er für die Stadt nicht nur ungeeignet ist, sondern an manchen Stellen wirklich Probleme verursacht. Als Fahrer eines über 100.000 Euro teuren Sportwagens möchte man es nicht erleben, vor den Augen der Passanten in einer Straße wieder zurückzusetzen und den Verkehr blockieren zu müssen, weil der GT nicht zwischen einem hohen Bordstein und einem auf der gegenüberliegenden Seite geparkten Auto hindurch passt.
Halten wir also fest: Der e-tron GT ist ein Auto für Feinschmecker der sportlichen Sorte, in dem Suchtpotenzial steckt. Die Fahrperformance begeistert, das Laden geht (vor allem im Sommer) flott, die Reichweite ist okay. Wer ihn bestellen möchte, darf sich auf einen langen Abend am Konfigurator freuen und muss lange Lieferzeiten befürchten.
Audi e-tron GT – Technische Daten:
Fünftüriges Sportcoupé mit vier Sitzen, Länge: 4,99 Meter, Breite: 1,96 Meter (mit Außenspiegeln: 2,16 Meter), Höhe: 1,41 Meter, Radstand: 2,90 Meter, Kofferraumvolumen: 405 Liter.
Zwei permanenterregte Synchronmotoren, 350 (390) kW/476 (530) PS, maximales Drehmoment: 640 Nm, Batteriekapazität: 93,4 kW/h brutto/83,7 kWh netto, dreiphasiger Lader mit max. 270 kW (DC) und 11,0 (AC), Reichweite 488 km (WLTP), Allradantrieb, 2-Gang-Getriebe, 0-100 km/h: 4,1 s, Vmax: 245 km/h, Normverbrauch nach WLTP: 19,9 – 21,8 kWh/100 Kilometer, CO2-Ausstoß: 0 g/km, Effizienzklasse A+, Testverbrauch: 30,6 kWh.
Anhängelast: keine, Stützlast: keine, Zuladung: 565 kg.
Preis: 101.600 Euro., Testwagenpreis: 126.660 Euro.
Plus/Minus:
Toller Sportwagen/GT
Kraft im Überfluss
Tolles Fahrwerk
Schnelles Laden
Langstreckentauglich
Übersichtliche Bedienung
Frunk (85 l)
Geringere Ladeleistung im Test
Lange Aufpreisliste
Keine SoC-Anzeige
Keine Anhänge-/Stützlast
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