Beim autonomen Fahren hat sich Ernüchterung breit gemacht. Doch aufgeben will die Industrie den Autopilot nicht.
Von wegen Autopilot. Zwar gaukelt Elon Musk seinen Kunden schon seit Jahren vor, die Zukunft des autonomen Fahrens sei bei seinen Autos längst Gegenwart. Doch immer wieder muss der Tesla-Chef einräumen, dass Model S & Co den Fahrer eben doch nur unterstützen und nicht allein chauffieren können. Gerichtsverfahren hat es dazu schon Dutzende gegeben. Und seit jetzt die so genannten Tesla-Files mit über 100 GB internen Daten in die Öffentlichkeit gelangt sind und von über 1.000 mehr oder minder schlimmen Autopilot-Unfällen in den letzten Jahren künden, dürfte selbst dem letzten Fan-Boy klar sein, dass es auch bei Tesla noch dauern wird, bis der Fahrer die Hände dauerhaft in den Schoß legen kann.
Die Hoffnung auf baldige Entspannungsschläfchen auf der Autobahn und Heerscharen autonomer Taxen in den Städten dürfte sich damit zwar vollends zerschlagen haben. Doch die Entwickler haben das autonome Fahren weiter fest im Blick und nähern sich dem Ziel mit kleinen, aber dafür sehr konkreten Schritten.
Das Ziel weiter fest im Blick
Wenn BMW im Herbst den neuen Fünfer bringt, fährt der zwar auch weiterhin nur mit einem Autobahn-Assistenten nach dem so genannten Level 2, bei dem der Fahrer jederzeit kurzfristig zur Übernahme bereit sein muss und deshalb weder zum Smartphone greifen noch die Augen schließen darf. Doch statt wie bislang alle paar Sekunden den Griff zum Lenkrad einzufordern, darf die Elektronik nun mit einer Ausnahmegenehmigung des KBA dauerhaft bis 130 km/h Tempo, Spur und Abstand regeln, wenn der Fahrer nur trotzdem brav aufmerksam bleibt und die Kamera hinter dem Lenkrad keine Blickablenkung erkennt. Freihändig nach Frankfurt – bis auf ein paar Baustellen, besonders enge Kurven oder Autobahnkreuze ist das in der neuen Limousine nicht nur möglich, sondern auch erlaubt.
Freihändig nach Frankfurt
Zwar entlastet das System den Fahrer nur, statt ihm wirklich Zeit für andere Dinge zu schenken. Doch verglichen mit so genannten Level-3-Systemen mit derart erweiterter Freizeit für den Fahrer, wie Mercedes sie in der S-Klasse schon anbietet und jetzt noch vor Tesla als erster Hersteller auch in Kalifornien zugelassen bekommen hat, hat der Highway Assistent zwei entscheidende Vorteile, argumentieren die Bayern. Erstens arbeitet er nicht nur im Stau, bei limitiertem Tempo und unter optimalen Bedingungen, ist also weniger die Ausnahme als die Regel. Und zweitens kostet er nicht viele tausend, sondern nur wenige hundert Euro Aufpreis. Und er hilft den Entwicklern mit reichlich Testkilometern über die nächste Hürde, die sie ebenfalls noch in diesem Jahr nehmen wollen. Denn schon aus Prestige-Gründen arbeiten sie natürlich ebenfalls am Level 3 und wollen damit bald im Siebener kommen.
Weit entfernt von einstigen Visionen
Egal ob nur freihändig oder mit Smartphone in der Hand – was die Elektronik aktuell und in naher Zukunft auf sehr ausgewählten Strecken unter sehr genau definierten Umständen möglich macht, ist meilenweit entfernt von jenen Visionen, die uns die Entwickler noch vor ein paar Jahren skizziert haben. Denn noch vor einer Dekade schien der allumfängliche Autopilot nur eine Frage von wenigen Jahren, und jeder Hersteller hat auf jede Messe Showcars ohne Lenkrad und Pedale gestellt. Doch mittlerweile hat sich eine Ernüchterung in der Branche breitgemacht. Ja, es gibt vor allem in Asien und Amerika mehr oder minder große Flotten mit Prototypen und stark limitiert auch schon erste Dienste mit Robotaxen, die allerdings nur in eng definierten Grenzen und Gebieten unterwegs sind. Doch eingebremst von zahlreichen anderen Herausforderungen und der Erkenntnis, dass es vielleicht doch nicht ganz so trivial ist mit der Umfelderkennung und der Übernahme der Verantwortung, hat sich der Zeithorizont zuletzt spürbar geweitet.
„Am Ende des Tals der Tränen“
„Am Ende ist die Technik deshalb aber noch lange nicht“, sagt Matthias Kempf. Im Gegenteil, der Partner beim Strategieberater Berylls in München ist überzeugt: „Es handelt sich um ein mustergültiges Hype-Cycle-Phänomen, und wir befinden uns aktuell am Ende des Tals der Tränen.“ Ja, gibt der Experte zu, die Erwartungen des es ersten Begeisterungssturms hätten sich nicht erfüllt. „Aber langfristig wird autonomes Fahren funktionieren und ein einträgliches Geschäftsmodell“, ist er überzeugt und lenkt den Blick dafür in andere Länder: „Die Märkte in USA und China sind schon deutlich weiterentwickelt, hier fahren bereits hunderte und tausende autonomer Fahrzeuge im kommerziellen Betrieb auf der Straße.“
Vor dem Durchbruch stehen für Kempf vor allem zwei Hürden, die noch genommen werden müssen. „Weder die Technik noch die Gesetzeslage sind aktuell ausgereift genug, um autonomes Fahren im ganz großen Stil auszurollen“, sagt der Experte.
„Level 3 und 4 sind realistisch“
Der Weg dahin führt für ihn über die unterschiedlichen Level, die jeweils für unterschiedliche Anwendungen sinnvoll seien. „Level 3, also mit Fahrer in Übernahmebereitschaft aber der Freiheit zum Lesen oder Surfen, auf der Autobahn und Level 4 ohne Fahrereingriff in der Stadt sind beides greifbare und realistische Szenarien“; ist Kempf überzeugt. „Aber richtig spannend wird es mit der Kombination: Level 4 für die Langstrecke auf der Autobahn.“ Darin liege dann auch die eine große Chance für deutsche Premium-Autobauer. Denn während aktuell Tesla & Co den Mund am vollsten nehmen, wirken die Deutschen, als wären sie im Hintertreffen – auch wenn sie das in München oder Stuttgart vehement verneinen würden.
Dabei verweist die Unternehmensberatung Roland Berger auf zwei unterschiedliche Philosophien, die den Weg zu Level 4 und Level 5 ermöglichen sollen „Da ist einerseits der revolutionäre Pfad, auf dem Unternehmen unterwegs sind, die ihre Produktarchitektur auf die Anforderungen des Level-4-Fahrens ausgerichtet haben und Fahrzeuge direkt zum vollautonomen Fahren befähigen wollen. Und da ist zum anderen der evolutionäre Ansatz, den viele Zulieferer oder auch die etablierten Hersteller verfolgen.“ Hier die radikal neuen Konzepte, da die Innovationen in Trippelschritten: Während die radikalen vom geringeren Innovationstempo sicher stärker betroffen seien, müssten die moderaten ihre Konzepte und Planungen kaum anpassen – und könnten sogar schon Geld verdienen, argumentieren die Unternehmensberater: „Auf diesem evolutionären Pfad wird heute trotz hoher Entwicklungskosten bereits Geld verdient. Das gilt vor allem für viele Zulieferer, aber auch die Hersteller schöpfen erfolgreich die Zahlungsbereitschaft ihrer Kunden ab“, meldet Roland Berger und geht davon aus, dass diese Einnahmequelle in den nächsten Jahren sehr stark an Bedeutung gewinnen wird.
Trippelschritte oder radikale Ansätze
Das Rennen um den Autopiloten entscheidet sich allerdings nicht allein zwischen Fahrzeugherstellern wie eben BMW, Mercedes, Tesla oder den Newcomern aus China und nicht zwischen Evolutionären und Revolutionären. Sondern es ist auch ein Wettlauf zwischen dem Pkw und dem Lkw. Denn während Trucks sonst gerne mal als rückständig betrachtet werden, sind sie beim autonomen Fahren mindestens genau so weit.
Während sich beim Pkw niemand zu einer konkreten Prognose versteigt, spricht Peter Schmid unumwunden von zehntausenden Trucks, die zum Ende der Dekade führerlos fahren sollen. Zwar erstmal nur in Amerika und mit einem so genannten Hub-to-Hub-Konzept zwischen einzelnen Knotenpunkten entlang der Interstates, von wo aus dann Fahrer aus Fleisch und Blut die letzte, gerne auch mal längere Meile übernehmen sollen. „Doch bis zu sechs Prozent des amerikanischen Transportvolumens könnten dann autonom abgewickelt werden“, schätzt der Chef des Techunternehmens Torc, an dem sich Daimler Trucks mit 50 Prozent beteiligt hat, und lässt schon heute eine Flotte vom Freightlinern im Testbetrieb zwischen Amarillo und Albuquerque pendeln.
Lkw fahren in den USA autonom
Dass er den Truck beim autonomen Fahren vorne sieht, liegt nicht allein an den etwas besser kalkulierbaren Verkehrssituationen auf den amerikanischen Interstates, am geringeren Geschwindigkeitsbereich und am größeren Bauraum für Sensoren und redundante Technik. Sondern vor allem an den Rahmenbedingungen der Fahrt: Während es beim Pkw vor allem um Komfort und Prestige geht, dreht sich im Nutzfahrzeug alles um Kosten und Profite. „Sobald sich das System rechnet, werden die Speditionen Schlange stehen“; ist der Torc-Chef überzeugt. Und dass aktuell überall auf der Welt Lkw-Fahrer fehlen, während der Transportbedarf ins Unermessliche steigt, werde die Entwicklung noch beschleunigen, sagt Schmidt mit einem zuversichtlichen Gesichtsausdruck. Denn ein Robotruck fährt im besten Falle nicht nur sicherer und sparsamer als einer mit einem Fahrer aus Fleisch und Blut. Denn während die Trucker strengen Lenk- und Ruhezeiten unterliegen, fährt der Autopilot so lange, bis der Tank leer ist – und das kann bei den riesigen US-Trucks schon mal ein, zwei Tage dauern. Benjamin Bessinger/SP-X/Titelfoto: Audi
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