Dolphin, Seal & Co sind nur die Vorhut: BYD noch mehr in petto als ein paar gefällige Massenmodelle. Ein Ausblick.
Bislang spielt der weltgrößte Hersteller elektrifizierter Autos hierzulande nur eine sehr kleine Nebenrolle. In 2023 konnte BYD in Deutschland nur gut 4.000 Fahrzeuge absetzen, doch das könnte/dürfte sich ändern, wenn der Konzern i Europa richtig Gas (oder Strom) gibt. Wagen wir also einen Ausblick.
Etwa auf den Geländewagen U8. Er kostet 1,4 Millionen Yuan (182.000 Euro) und ist damit eines der teuersten Autos aus chinesischer Produktion. Und trotzdem ist er über Monate ausverkauft und BYD kommt mit der Produktion kaum hinterher. Seit der weltgrößte Hersteller elektrifizierter Autos mit dem U8 seine Luxusmarke Yangwang lanciert hat, steht die Schickeria in Shanghai, Peking oder Guangzhou Schlange. Aus gutem Grund. Der Koloss von 5,4 Metern sieht nämlich nicht nur besser aus als ein Land Rover Defender und bietet mehr Luxus als ein Bentley Bentayga, er fährt obendrein die allermeiste Zeit elektrisch und hat ein paar Tricks drauf, die selbst der sehnlichst erwartete Mercedes EQG nicht beherrscht.
So kann er nicht nur auf der Stelle drehen wie die elektrische G-Klasse, sondern auch noch quer in eine enge Parklücke rutschen. Mit fast 1.200 PS und beinahe 1.300 Nm schüttelt er seine 3,5 Tonnen beim leichtesten Schattenwurf auf dem Fahrpedal ab, schießt wie in Sportwagen in 3,6 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und schafft mühelos 200 km/h. Und wenn ihm im Wasser trotz einem Meter Wattiefe mal der Bodenkontakt ausgeht, kann er bis zu einer halben Stunde lang schwimmen. Das müssen ihm die Europäer erst einmal nachmachen.
Zwar ist BYD auch der größte Batteriehersteller der Welt und wird für seine so genannten Bladezellen allerorten hochgelobt. Doch allein auf die schmalen Speicher wollen sie sich bei ihrem König der Kraxler offenbar nicht verlassen. Stattdessen installieren sie einen Range Extender und einen 75 Liter-Tank. Wenn die 49 kWh der Batterie im Boden nach nicht einmal 200 km aufgebraucht sind, springt deshalb ein 2,0 Liter-Motor an und produziert den Strom für noch mal über 800 km/h. So ist der U8 auch für Abenteuer gewappnet, die in weit weg von der Zivilisation und jeder Ladesäule führen.
BYD: Spitzenleistungen mit dem U9
Das Spitzenleistung auch rein elektrisch möglich sind, wollen die Chinesen bald mit dem U9 beweisen. Während der U8 luxuriöse Geländewagen ins Visier nimmt, zielt diese Flunder auf Ferrari und Co. Nur eben ohne V8 oder V12 Motor. Stattdessen gibt es vier E-Maschinen mit dann sogar 1.300 PS für bis zu 300 km/h und einen Sprint nahe zwei Sekunden sowie einen 100 kWh großen Akku, mit dem um die 500 km möglich sein sollten.
Die neue Luxusmarke Yangwang ist ein technologisches Aushängeschild, aber die Nachfrage daheim ist so groß, dass der Export erst einmal auf sich warten lassen dürfte. Zumal die Chinesen selbst ganz gut wissen, dass bei aller Faszination für ihre Produkte am Ende vielleicht doch die bekannteren europäischen Marken ziehen werden. Ganz anders sieht das bei Denza aus, einer weiteren Premium Marke, die eine halbe Klasse unter Yangwang gegen Audi oder BMW und natürlich gegen Nio positioniert ist. Vor über zehn Jahren im Joint Venture mit Mercedes gegründet, hatte Denza zwar einen schweren Start, weil sich niemand für die halbherzig um gerüstete B-Klasse mit Stummelheck und E-Antrieb interessiert hat. Doch nachdem die Schwaben ihre Anteile heruntergefahren und die Chinesen eigene Modelle entwickelt haben, läuft es sehr viel besser.
Seit im letzten Sommer der D9 als luxuriöse Alternative zu V-Klasse & Co auf den Markt kam, weisen die Kurven steil nach oben. Schon in den ersten 30 Minuten sind 3.000 Autos bestellt worden, es gibt angeblich über 70.000 Interessenten und Monat für Monat werden mehr als 10 000 Luxusvans mit Plug-in-Hybrid oder reinem E-Antrieb ausgeliefert – darunter manche so vornehm, dass selbst Maybach nicht mehr mitkommt. Zum Vergleich: Mercedes schafft mit der V-Klasse in China kaum mehr als ein Zehntel davon.
Breites Publikum: Denza N7
Und jetzt schieben Sie mit dem Denza N7 eine ausgesprochen schmucke Steilhecklimousine hinterher, die auf ein sehr viel breiteres Publikum trifft und nicht nur Nio das Leben schwer machen könnte, sondern auch einen Porsche Panamera und erst recht einem Mercedes EQS. Der 4,80 Meter lange Fünfsitzer muss sich weder bei Antrieb noch bei Ambiente verstecken. Der filigrane und freistehende Bildschirm im Cockpit ist größer als so mancher Desktop-Computer, die Grafiken hinter dem Lenkrad und im Head-Up-Display sind hochauflösend, die Materialauswahl zeugt von großzügigen Budgets und die Verarbeitung von hoher Fingerfertigkeit. Und mit zwei Motoren von zusammen 530 PS, einer für chinesische Verhältnisse strammen Abstimmung und scharfen Lenkung macht der Viertürer mehr Spaß, als die Polizei in Peking & Co erlaubt. Deshalb stört es dort auch keinen, dass die Elektronik schon bei 180 km/h wieder den Stecker zeiht. Dazu gibt’s einen Akku von 91 kWh, der für bis zu 630 Kilometer reichen soll.
Ja, U8 und U9 sind faszinierende Spielzeuge für Superreiche, und Denza hätte tatsächlich das Zeug zum Eroberer in der europäischen Premium-Klasse. Doch erst einmal machen die Chinesen weiter auf Masse statt Klasse und bringen deshalb ihr aktuelles Portfolio auf Vordermann. Nicht einmal zwei Jahre nach dem Europa Start erhällt deshalb der Tang ein Facelift, bei dem vor allem die Batterie profitiert: Statt bislang 86 hat die Batterie jetzt eine Kapazität von 108 kWh und die Normreichweite klettert von 400 auf 530 Kilometer. Damit dieses Wachstum nicht zur Geduldsprobe an der Steckdose führt, steigert BYD zugleich die Ladeleistung.; Am Wechselstrom sind künftig elf statt sieben kW möglich und am Gleichstrom bis zu 190 kW. Auch sonst macht der Tang jetzt Tempo: Mit zwei Motoren von zusammen 517 PS beschleunigt er in 4,9 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und wird nun erst bei 180 km/h elektronisch begrenzt.
Und dann stellen sie der sportlichen Limousine Seal den praktischen Seal U zur Seite. Der markiert zwar beim Platzangebot und vor allem beim Kofferraum einen deutlichen Schritt nach vorn, macht aber technisch eine Rolle rückwärts. Erstens, weil es ihn nur mit 218 PS-Frontantrieb gibt und die Akkus mit 72 oder mit 87 kWh nur für 420 oder 500 Kilometer reichen. Und zweitens, weil auch der größte Elektrohersteller der Welt mittlerweile begriffen hat, dass die Euphorie in Europa merklich abgekühlt hat. Deshalb gibt es den Wagen als ersten BYD für Europa ab dem Sommer auch als Plug-in-Hybrid und deshalb mit Verbrenner. Benjamin Bessinger/SP-X
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