E-Autos sind bei Unfällen weniger sicher als Verbrenner? Beim Crashtest zerbröselt dieses Vorurteil, wie Mercedes und ADAC betonen.
Brennen Elektroautos schneller als Verbrenner? Entstehen bei einem Unfall zusätzliche Gefahren – etwa durch einen beschädigten Akku? Immer wieder werden diese Fragen eifrig diskutiert und – je nach Standpunkt – mit mehr oder weniger stichhaltigen Argumenten unterlegt. Bis hin zu einem Crashtest der Axa Versicherung, bei dem angeblich ein Feuer entstanden war. Doch was ist wirklich Sache? Werfen wir einen Blick dorthin, wo diese Fragen erforscht werden – und zwar nicht nur mit einem Crashtest, sondern mit vielen.
Etwa im Sicherheitszentrum in Sindelfingen, wo Mercedes viele hundertmal im Jahr den Fall der Fälle simuliert. Der dort inszenierte Showdown findet mit zwei Elektroautos statt, einem drei Tonnen schweren Mercedes EQS SUV und dem immerhin auch noch 2,2 Tonnen schweren Batterie-Benjamin EQA. Beide Kontrahenten treffen mit 112 km/h (jeweils 56 km/h) aufeinander und damit weit jenseits aller Normen. Die Anbauteile spritzen nur so davon, die Scheiben bersten und selbst die Räder werden meterweit weggeschleudert.
„Schutz ist keine Frage des Antriebssystems“
Und passiert ist, außer natürlich einem gewaltigen Blechschaden: Nichts! „Für uns ist der Schutz keine Frage des Antriebssystems“, sagt Markus Schäfer, der als Entwicklungsvorstand auch oberster Hausherr ist im Crashzentrum, in dem pro Jahr über 900 Neuwagen der Sicherheit geopfert und gegen die Wand, einen Pfahl, eine Barriere oder eben gegen ein anderes Auto gefahren werden. „Dieser Crashtest beweist, dass alle unsere Fahrzeuge ein vergleichbar hohes Sicherheitsniveau haben – egal mit welcher Technologie sie angetrieben werden.“
Dass Mercedes so eine spektakuläre Beweisführung wählt, ist kein Wunder. Schließlich reklamieren die Schwaben für sich seit der Erfindung der Knautschzone eine Führungsrolle im Sachen Sicherheit – und haben obendrein ein hehres Ziel: Schließlich wollen die Schwaben bis 2030 die Zahl der schweren Verletzungen oder Todesfälle mit Beteiligung eines ihrer Autos halbieren und bis 2050 ganz auf Null herunterfahren. Und weil sie bis dahin aller Voraussicht nach nur noch Elektroautos bauen, müssen die per se so sicher sein, wie es bislang die Verbrenner waren.
Große Vorteile bei frontalen Unfällen
„Mindestens“, schiebt Julia Hinners noch hinterher. Sie arbeitet an den Crashstrukturen der E-Autos und sieht diese dabei sogar im Vorteil: Ja, beim Seitencrash schrumpfe mit dem extrem steifen Akku die Knautschzone, was sie mit besonders aufwändigen Konstruktionen etwa in Türen und Trittleisten kompensieren müssen. „Doch dafür haben wir bei allen frontalen Unfallszenarien einen großen Vorteil: Wenn der große, massive und schwer verformbare Motor aus dem Weg ist, haben wir mehr Platz, um die Crashenergie abzubauen.“ Dass EQA und EQS SUV fast bis zur Frontscheibe eingedrückt sind, irritiert sie deshalb nicht im Geringsten: Was dort an Energie vernichtet wurde, wirkt schon nicht mehr auf die Knochen der Insassen. „Nach allem, was unsere Sensordaten an den Dummys vermuten lassen, wären sämtliche Mitfahrer ohne schwere Verletzungen ausgestiegen“, lautet ihr beruhigendes Fazit.
Das erfreuliche Ergebnis der spektakulären Inszenierung ist kein Einzelfall, sagt Volker Sander, der Leiter Fahrsicherheit im ADAC-Technikzentrum Landsberg am Lech. Auch die Experten des Automobilclubs konnten bislang keine Unterschiede bei der Sicherheit von Verbrennern oder Elektroautos feststellen. „Das ist ein Mythos, der bei nahezu jedem Crashtest weiter zerbröselt“, sagt Sander und verweist auf eine lange Liste positiver Ergebnisse: „Der VW ID.3 erzielte 2020 als eines der ersten E-Autos, das nach verschärften EuroNCAP-Richtlinien getestet wurde, direkt 5 Sterne. Bis auf wenige Ausnahmen erreichten auch alle weiteren seither getesteten Elektrofahrzeuge die volle Sternezahl.“
Kein E-Auto fiel beim Crashtest negativ auf
Keines der aktuellen Elektroautos sei bislang bei einem Crashtest negativ aufgefallen, so Sander weiter. Selbst beim Seitenaufprall mit bis zu 60 km/h zeigten sie keine Schwächen. Dabei sei die Flanke unabhängig vom Antriebskonzept die empfindlichste Stelle eines Autos. „Der geringere Deformationsraum gegenüber Front oder Heck stellt für die Batterie eine erhebliche Gefahr da. Es darf hier auf keinen Fall zu einem Kurzschluss kommen“, mahnen die Experten in München.
Neben den unterschiedlichen Crashstrukturen und Knautschzonen sowie der oft größeren Steifigkeit ist die Batterie in Sachen Sicherheit der größte Unterschied zwischen Verbrennern und E-Autos, sagt ADAC-Mann Sander. Wenn sie beschädigt wird, drohen Brände, die schwer zu kontrollieren oder gar zu löschen sind „Die Hersteller betreiben deshalb einen immer größeren Aufwand, um die in der Regel im Unterboden verbauten Batterien bei einem Crash vor Deformation zu schützen“, attestiert der Autoclub – davon profitieren dann nicht zuletzt auch die Insassen, denen so bisweilen mehr Überlebensraum bleibt als in einem Verbrenner.
Das Risiko eines Brandes ist nicht höher
Zudem verweist er auf gesetzliche Anforderungen an die Akkus, zum Beispiel, dass bei Erschütterung kein Kurzschluss entsteht. Außerdem muss bei einer Karambolage unmittelbar die Stromversorgung im Hochvoltsystem unterbrochen werden. All das wird bei den Crashtests genauso untersucht wie die Funktion der Airbags oder die automatische Aktivierung des Warnblinkers. Auch das ist ein Grund, weshalb Verbrenner zwar mit leerem Tank gegen die Wand oder eine Barriere fahren, Elektroautos dagegen aber mit voller Batterie. „Und passiert ist dabei trotzdem nichts“, meldet Sander: „Das Risiko eines Fahrzeugbrands bei E-Autos ist nach unseren Tests nicht höher als bei herkömmlichen Fahrzeugen.“
Dafür reklamiert Sander für Elektroautos noch einen weiteren Vorteil: „Weil der Elektroantrieb weniger Platz und keinen klassischen Kühler braucht, können die Hersteller andere Frontstrukturen verbauen, die eine bessere Interaktion mit dem Unfallgegner erlauben“, sagt Sander und spricht von Partnerschutz oder Kompatibilität. „Davon profitieren dann nicht nur andere Pkw, sondern auch Fußgängern oder Radfahrer.“
Bei der Frage nach der Sicherheit macht es offenbar auch keinen Unterschied mehr, aus welchem Land die Kandidaten kommen, und die Mär von den klapprigen China-Importen zerbröselt gleich mit. Denn ganz augenscheinlich haben die Asiaten aus den frühen Debakeln von Landwind, Brilliance & Co. gelernt und geben sich in der Ära der Akku-Autos keine Blöße mehr: Als vor ein paar Wochen BYD Dolphin und Seal, Nio EL7 und ET7 oder der erste XPeng getestet wurden, gab’s für alle deshalb fünf Sterne. SP-X
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