Lieferdienste setzen immer noch auch Diesel getriebene Transporter – auch weil die Modellauswahl bei den elektrischen LCV gering ist. Doch das ändert sich gerade.
Transporter bevölkern die Innenstädte, dies umso mehr als der E-Commerce boomt. Gerade in Zeiten von Corona hat der Lieferverkehr zugenommen. Und gerade in Innenstädten sollten elektrisch getrieben Transporter (LCV) eine gute Alternative zu den Stinkern sein. Dieser Gedanke lag auch der Erfindung des Streetscooter zugrunde, eine Firma, die sich mittlerweile im Besitz der Post befindet und kriselt – doch dazu später mehr.
„Befeuert von größeren Reichweiten, einer wachsenden Modellpalette und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Autos kommt die E-Mobilität langsam in Schwung“, sagt Andreas Radics vom Strategieberater Berylls in München und sieht eine Erweiterung des Spektrums: „Die Elektrifizierung der leichten Nutzfahrzeuge, die das Rückgrat des städtischen Lieferverkehrs bilden, scheint der logische nächste Schritt auf dem Weg in die CO2-neutrale Mobilität zu sein.“
Die Vorbehalte sitzen tief
Noch ist die Nachfrage nach diesen eLCV allerdings eher gering, hat Radics ermittelt und spricht weiterhin von der Dominanz des Diesels. Allerdings übten bereits bestehende regulatorischen Maßnahmen und drohende Fahrverbote zunehmend Druck auf das Segment aus. „In den kommenden Jahren wird das für einen beschleunigten Übergang zu elektrischen Nutzfahrzeugen in diesem Segment sorgen“, sagt der Experte und rechnet jährlich mit 30 Prozent Wachstum.
Zwar planten Fuhrparkmanager durchaus mit elektrischen Transportern, um die Emissionen ihrer Flotten zu reduzieren. Doch säßen die Vorbehalte gegenüber den Elektrofahrzeugen tief, und für die Fuhrparkmanager stünden weiterhin die Nutzbarkeit und die Gesamtkosten im Fokus: „Wenn die neue eLCV-Generation in diesen Punkten mit aktuellen Dieselfahrzeugen konkurrieren kann und die Ladeinfrastruktur als ausreichend angesehen wird, dann kann die Elektrifizierung des innerstädtischen Lieferverkehrs nochmals deutlich beschleunigt werden,“ ist Radics überzeugt.
Breiteres Angebot
Die Fahrzeughersteller jedenfalls bereiten sich auf diesen Prozess bereits vor und bauen ihr Angebot kräftig aus. Nachdem es noch bis vor kurzem lediglich mehr oder minder halbgare Umbauten und als einzige Werksmodelle den Nissan eNV200 mit bis zu 275 Kilometern Reichweite und den Renault Kangoo ZE (214-230 Kilometer Reichweite) zu kaufen gab, geht die Flotte gerade mächtig in die Breite.
So haben die drei PSA-Töchter Citroen, Peugeot und Opel gerade ihre baugleichen Transporter-Modelle Jumpy, Expert und Vivaro mit einem E im Namen vorgestellt und gleich mehrere Varianten angekündigt. So gibt es das 100 kW/136 PS starke und bis zu 130 km/h schnelle Modell nicht nur in drei Längen als Kombi, Van oder Kastenwagen, sondern auch mit zwei Akku-Größen: Standard sind 50 kWh für 230 Kilometer Reichweite und gegen Aufpreis gibt es 75 kWh für 330 Kilometer Aktionsradius. Außerdem kündigen die PS-Marken bereits E-Varianten in den Segmenten darüber und darunter an: So will Citroen auch den Jumper an die Ladesäule bringen, und 2021 werden Citroen Berlingo, Peugeot Partner und Opel Combo ebenfalls mit Strom fahren.
EQV: elektrische V-Klasse
Wer es vornehmer mag, der bekommt den Vito auch bald als elektrische V-Klasse, die dann zum EQV wird und als erste luxuriöse Großraumlimousine dahin stromert: Mit maximal 150 kW/204 PS bis zu 160 km/h schnell, kommt der noble Raumkreuzer dank 100 kWh Akkukapazität auf mehr als 400 Kilometer Reichweite. Und genau wie in der „alten“ Welt gibt es daneben auch eine gewerbliche Variante, die als e-Vito an den Start geht. Als „Tourer“ mit Pkw-Bestuhlung bietet er die gleichen Eckdaten wie der EQV, als Kastenwagen müssen 85 kW/115 PS Motorleistung, 41 kWh Batteriekapazität und 181 Kilometer Reichweite genügen.
Marktführer VW ist dagegen an der Ladesäule noch nicht ganz so breit aufgestellt. Zwar haben die Niedersachsen bereits in den 1970ern mit einem Elektroantrieb für den Bulli experimentiert, verlassen sich aktuell aber auf den Partner Abt, der Caddy und T6 auf einen Elektroantrieb umrüstet. Für beide Modelle gibt es einen E-Motor mit bis zu 83 kW/112 PS und Akkus mit einer Bruttokapazität von rund 40 kWh, so dass die Allgäuer für den Caddy eine Reichweite von 159 und für den T6 maximal 135 Kilometern versprechen.
Kandidaten bis 3,5t
Auch bei den größeren Modellen in der Klasse bis 3,5 Tonnen gibt es ein elektrisches Angebot: Dort baut VW den eCrafter mit 173 Kilometern Reichweite, Konzernschwester MAN hat den eTGE im Angebot und verspricht bis zu 115 Kilometer Aktionsradius, bei Fiat gibt’s einen elektrischen Ducato mit Batterien für bis zu 360 Kilometer Reichweite, Iveco bringt den Daily als Blue Power auf maximal 200 emissionsfreie Kilometer und unter dem Mercedes-Stern fährt der e-Sprinter mit zwei Batteriegrößen und bis zu 150 Kilometern Reichweite elektrisch an die Laderampe.
Zwar wächst die Auswahl an elektrischen Kleintransportern beständig, und die Prognosen für das Segment sind relativ rosig. Doch von ein paar Exoten wie dem neuen, bald auch als Lieferwagen verfügbaren London Taxi einmal abgesehen, gibt es bislang ausschließlich so genannte Conversion-Modelle. Denn egal ob Mercedes Vito, Opel Vivaro oder VW T6 – sie alle wurden als Verbrenner konzipiert und erst nachträglich auf den Elektroantrieb umgerüstet, was vor allem bei der Raumausnutzung Nachteile mit sich bringt. Das wird sich wohl erst in zwei Jahren ändern, wenn VW neben einem elektrifizierten T7 auch den ID Bus bringt, der dann auf dem Modularen Elektrifizierungsbaukasten MEB basiert.
Amerikanische Startups
Parallel dazu arbeiten zwei amerikanische Start-Ups auf den Spuren Teslas an der Elektrifizierung des gewerblichen Verkehrs auf der letzten Meile. So plant Rivian mit dem Geld von Ford und Amazon den Bau eines elektrischen Pick-Ups und eines entsprechenden Transporters und Bollinger zielt – aktuell noch ohne prominente Geldgeber – in die gleiche Richtung.
Dass allerdings auch die konsequente Entwicklung um den Elektroantrieb herum keine Garantie für den Erfolg ist, belegt das Beispiel Streetscooter. Denn obwohl das einstige Start-Up aus dem Umfeld der Universität RWTH Aachen lange vor den etablierten Autoherstellern einen dezidierten Elektro-Transporter entwickelt und mit der Deutschen Post erst einen Großkunden und dann sogar einen neuen Besitzer gefunden hat, kam der leise Laster nicht so recht zum Laufen. Die Briefträger sind zwar zufrieden, aber die Buchhalter schlagen Alarm und ziehen jetzt die Reißleine: Noch im Lauf des Jahres wird die Produktion eingestellt. HM/SP-X/Titelfoto: Opel
Add a Comment