Kann die Corona-Krise den Blick auf Verkehrsmittel Fahrrad verändern? Und wie reagieren die Kommunen?
Fitnessstudio? Dicht. Yoga-Kurs? Fällt aus. Joggen im Park? Machen zu viele andere. Wie also dann Sport treiben? Richtig: Fahrrad fahren. Die Sonne strahlt und auch wenn die Temperaturen aktuell noch etwas erfrischend sind, bietet Radfahren viele Vorteile. Man ist schnell unterwegs von A nach B, man fährt alleine (oder zu zweit) und man tut gleichzeitig etwas für die Gesundheit sowie gegen Depressionen. Was sich in der Klimadiskussion bereits gezeigt hat, schließt sich in der Corona-Krise nahtlos an: Radfahren kann zum breiten gesellschaftlichen Trend werden. „Die Luft ist selbst in der Stadt deutlich besser. Ich habe das Gefühl, es riecht mehr nach Wald. Ziel sollte es von allen sein, dieses Gefühl auch nach der Krise beizubehalten“, plädiert Sebastian Göttling vom Lichtspezialisten Busch & Müller für eine langfristige Radverkehrsstrategie.
Motivation statt Resignation
Für Fahrradbranchenvertreter ist klar: Wir resignieren nicht vor der aktuellen Situation, sondern sehen sie als Motivation. „Das Fahrrad wird nachhaltig aus dieser Krise hervorgehen“, ist Lothar Schiffner vom Koblenzer Komponentenanbieter Ergon überzeugt. Markus Krill vom Anhängerspezialisten Croozer sekundiert, dass man den Menschen auch einfach mal banale Anstöße geben muss, was sie mit dem Fahrrad überhaupt machen können: „Sie erkennen, dass sie mit dem Fahrrad auch Einkaufen fahren können. Die aktuelle Situation ist deshalb eine Chance.“
Gerade in Ballungsräumen würde die Nachfrage nach praktischen Cargo-Anhängern aktuell spürbar steigen. Selbst in ländlichen Regionen wird das Fahrrad als Mobilitätsalternative entdeckt und angepriesen, wie Stefan Stiener, Geschäftsführer des Radherstellers Velotraum, aus eigener Erfahrung berichtet. Er sieht die Situation als Herausforderung, sogar kleine Gemeinden für mehr Radwegebau zu sensibilisieren. „Es braucht das Verständnis: Radfahren ist nicht nur in Notsituation gut“, so Stiener.
Am Beispiel des Berliner Senats zeigt sich bereits, wie die Politik schnell auf aktuelle Situationen reagieren kann. So wurden Autospuren spontan in Radspuren umgebaut, damit die Radfahrer mehr Platz bekommen. Was zuvor mit hohen bürokratischen Hürden verbunden war, geht in der Krise auf einmal. Für Alexander Kraft vom Liegeradhersteller HP Velotechnik eine logische Konsequenz: „Verkehrsströme müssen jetzt neu gedacht werden. Der ÖPNV ist keine Alternative mehr zum Auto. Es muss sich mehr Richtung Fahrrad entwickeln.“ Kraft sieht die Branche generell gut gewappnet, weil es „sehr viel Kreativität gibt, um Sachen schnell neu zu denken.“
Neue Formen der Kommunikation
Das betrifft auch, oder aktuell besser gesagt insbesondere, die Kommunikation. Das Frühjahr ist bekanntlich die umsatzstärkste Zeit im Fahrradhandel. Doch die Läden sind in vielen Bundesländern aufgrund des Corona-Virus geschlossen, Publikums-Messen abgesagt. Das Interesse am Fahrrad aufrecht zu erhalten ist eine Herausforderung, speziell weil es in den Massenmedien aktuell trotz aller Vorteile kaum eine Rolle spielt. So werde beispielsweise über virtuelle Messen diskutiert, viel Kommunikation läuft über das gute alte Telefon oder (moderner) über Social Media mit den Endverbrauchern direkt. E‑Bike-Hersteller Riese & Müller veranstaltet beispielsweise zweimal wöchentlich eine Produktpräsentation als Facebook-Live-Event. „Wir versuchen verschiedene Tools anzubieten und Dinge in kurzer Zeit möglich zu machen, die es bislang nicht gab“, berichtet Geschäftsführer Heiko Müller. Die aktuellen Chancen müssen aufgegriffen werden, um einen mittel- bis langfristigen Umbruch der Mobilität zu mehr Nachhaltigkeit zu schaffen. „Wir sind mit unseren Themen auf der richtigen Seite. Man kann aktuell gar nicht genugtun“, plädiert Müller für mehr Engagement für das Fahrradthema.
Politiker müssen Beitrag leisten
„Die Message ist klar: Leute geht mehr Radfahren und zieht einen positiven Nutzen für eure Gesundheit aus den Einschränkungen. Das sagen sogar die Mediziner“, stimmt Denis Schömburg vom Teileimporteuer Messingschlager zu und appelliert besonders an die Politiker, ihren Beitrag dafür zu leisten. „Wir brauchen eine klare Exit-Strategie, wann und wie es nach den gegenwärtigen Einschränkungen weitergeht.“ Radfahren liefere nachweislich einen wesentlichen Beitrag für die Gesundheit der Menschen, deshalb sollte der Fachhandel auch frühzeitig seine Ladengeschäfte öffnen dürfen.
In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben die Fahrradläden aktuell aus diesem Grund bereits immer noch bzw. wieder geöffnet. In Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen ist zumindest der Teileverkauf gestattet. Fahrradwerkstätten sind deutschlandweit geöffnet, um die Mobilität sicher zu stellen. Zwar sind diese aufgrund des Kontaktverbots vielerorts noch leer, aber das werde sich (hoffentlich) bald ändern. pd-f/Titelfoto: unsplash
Add a Comment