Mercedes präsentiert die elektrische G-Klasse im Serien-Kleid. Der G 580 EQ wird ein Gelände-Profi wie seine Verbrenner-Brüder – nur noch talentierter.
So richtig eisig ist die Luft bei den finalen Abnahmefahrten am Polarkreis gar nicht, das Thermometer zeigt „nur“ zwischen minus zehn und plus zwei Grad. Aber die Straßenbedingungen passen den Test-Ingenieuren von der G 580 EQ-Entwicklung bestens ins Konzept. Mal Eis ohne Splitt, mal Eis mit Splitt, mal festgefahrener Schnee und mal ein Mix aus allem plus etwas Asphalt. Darauf können sie bestens zeigen, wie egal die jeweiligen Straßenverhältnisse den rund 3,5 Tonnen schweren, großflächig schwarz-blau abgeklebten Prototypen sind.
Neu konstruierte Hinterachse
Stoisch ziehen sie ihre Bahn über die norwegischen und schwedischen Straßen, bügeln dank ihres aufwendigen Fahrwerks mit Einzelradaufhängung vorne und neu konstruierter Starrachse hinten Frostaufbrüche und sonstige Gemeinheiten einfach weg. Das Ziel der Fahrt ist klar: Die elektrische G-Klasse bittet zum Eistanz.
Das Kür-Programm auf einem zugefrorenen See bei Arjeplog liefert den Beweis, dass die Grenzen der Physik wohl doch nicht ganz und gar starr, sondern durchaus ein wenig fließend sind. Zumindest, wenn der Mensch am Lenkrad seinen Job beherrscht wie die Ingenieure des Test-Teams. In deren Händen verwandelt sich der schwere Kraftprotz in eine elegante Ballerina, die mit Anmut und Eleganz ihre Pirouetten auf dem Eis dreht. Trotz weitestgehend abgeschalteter Stabilitätshelfer und echtem Winter- lässt sich der G 580 EQ auch ohne Spikes sicher im Slalom bewegen.
Reichlich Reserven
Sogar auf blank poliertem Eis reagiert er erstaunlich willig auf Lenkmanöver. Beruhigende Erkenntnis vom Beifahrersitz: Wenn sie noch zusätzlich von der versammelten Phalanx elektronischer Helfer unterstützt werden, können auch mittelmäßig begabte Piloten und Pilotinnen mit dem Neuzugang unter widrigsten Straßenbedingungen sicher unterwegs sein. Der Typ hat einfach reichlich Reserven, wenn’s eng wird.
Zum Beispiel dank des mittlerweile weltbekannten G-Turns. Ein paar Knöpfe gedrückt, ein paar Hebel gezogen – und schon verwandelt sich der Elektro-Geländegänger in einen Maxi-Kreisel, der sich auf der Stelle dreht – am allerbesten klappt das natürlich auf Eis. Das sieht von außen spektakulär aus, fühlt sich auf den Vordersitzen witzig, auf den Rücksitzen aber eher gewöhnungsbedürftig an – die Magennerven halt. Möglich wird dieses Gimmick, mit dessen Hilfe sich eine G-Klasse beispielsweise ohne Rangieren durch eine Spitzkehre zirkeln ließe, durch eine technische Besonderheit. Der G 580 EQ hat vier Motoren, für jedes Rad einen eigenen. Das ergibt zusammen mit einer aufwendigen und ausgeklügelten Software eine bis dato nicht erreichte Sensibilität unter allen Straßen- und Geländebedingungen.
Vier Motoren
Der G mit Strom kann alles, was seine Verbrenner-Brüder auch können. Und das ist bekanntermaßen eine ganze Menge. Aber er setzt noch einiges drauf. Dank des Untersetzungsgetriebes mit zwei Gängen lässt er sich auch rasant über die Autobahn treiben und bei Bedarf steile und steilste Steigungen mit groben Felsbrocken rauf und runter manövrieren. Bergab gerne auch ohne Zutun am Strompedal mit dem gewünschten Tempo, eingestellt über Paddel am Lenkrad. Weil jeder Motor einzeln angesteuert wird und in Millisekunden das jeweils für das Rad passende Moment überträgt, ist der große Stromer so ziemlich allen Offroad-Herausforderungen gewachsen.
Ein Übriges tut das auch bei den Verbrennern ausgeweitete Fahrmodus-Programm, mit dessen Hilfe präzise die für die jeweilige Situation passende Abstimmung gewählt werden kann. Felsbrocken fürchtet der G 580 EQ trotz seines mehr als 100 kWh fassenden Akkus im Sandwichboden kein bisschen, dank einer massiven Bodenplatte aus Verbundstoff mit reichlich Karbon. Auch Wasserdurchfahrten sind kein Problem, das System ist sicher abgedichtet.
Bis 400 km Reichweite
Selbst wenn Mercedes im hohen Norden mit den technischen Daten noch nicht so ganz rausrücken will: Die Reichweite des E-Offroaders im Alltagseinsatz ohne Tempo-Exzesse dürfte bei rund 350 bis 400 Kilometern liegen. Extrem ausdauernd zeigt sich der Akku nach den Erfahrungen der Ingenieure im Geländeeinsatz: Weil die vier Motoren da üblicherweise nur wenig gefordert werden und auch der bei höherem Tempo doch nennenswerte Luftwiderstand des Kraxel-Kastens keine Rolle spielt, sind auch sehr ausgedehnte Ausflüge über Stock und Stein ohne Schnelllader in der Nähe kein Problem.
In Sachen Aerodynamik hat sich aber gegenüber der 2018 präsentierten G-Klasse durch Modifikationen an den A-Säulen und weiteren Feinschliff einiges getan – wovon auch die gerade überarbeiteten Verbrenner-Modelle profitieren. Geblieben sind die kräftigen Türgriffe mit Öffnungs-Knopf. Und das laute Klacken, das das Verriegeln der Türen nach dem Losfahren signalisiert. Das gehört einfach dazu, so die einhellige Meinung der Entwickler.
1.100 Nm Drehmoment
Natürlich muss sich die viermotorige G-Klasse auch leistungstechnisch nicht hinter den Versionen mit Diesel und Benziner verstecken. 430 kW/585 PS liefern die E-Maschinen zusammen ab, das ermöglicht in Kombination mit einem System-Drehmoment von mehr als 1.100 Nm absolut standesgemäße Fahrleistungen. Die Daten für die Beschleunigung und die Höchstgeschwindigkeit hält man bei Mercedes allerdings noch unterm Deckel. Und verspricht eine Überraschung: Neben der Taste zur Aktivierung der G-Turns ist noch eine weitere zu entdecken. Die soll eine mindestens ebenso beeindruckende Funktion in Gang setzen…
Hoher Preis
Spannend wird auch der Preis, der die 200.000er Schallmauer durchstoßen dürfte. Das ist fraglos sehr viel Geld. Auch wenn es dafür ein Fahrzeug mit einer Fülle von neuen Funktionen, ungewöhnlichen technischen Lösungen und alten Stärken gibt. Aber daran sind G-Klasse-Nutzer ja gewöhnt. Rudolf Huber/SP-X
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