Prof. Martin Doppelbauer vom KIT nimmt Stellung zu einer Veröffentlichung, die dem Elektroauto höhere Emissionen unterstellt.
Eine Stellungnahme zur Veröffentlichung „THE AVERAGING BIAS – A STANDARD MISCALCULATION, WHICH EXTENSIVELY UNDERESTIMATES REAL CO2 EMISSIONS“ in der Zeitschrift „ZAMM – Journal of Applied Mathematics and Mechanics“ von Prof. Thomas Koch und Prof. Thomas Böhlke sowie zum Brief von Prof. Thomas Koch an die Stuttgarter Zeitung und die Europäische Union.
Der Emissionsfaktor
Vorab zur Klarstellung ein paar Worte zum Emissionsfaktor. Der Emissionsfaktor der Stromproduktion, angegeben in Gramm CO2 pro kWh verbrauchter elektrischer Energie, wird nachträglich für das jeweils abgelaufene Jahr berechnet, indem man die Emissionen aller Stromerzeuger dem gesamten Stromverbrauch aller industriellen und privaten Endkunden gegenüberstellt. Er berücksichtigt die Netzverluste, den Eigenverbrauch der Kraftwerke und alle sonstigen Effekte, die zu Emissionen in der Produktion und zum Verbrauch elektrischer Energie führen. Der Emissionsfaktor gilt im Mittel für alle Endstromverbräuche des jeweiligen Jahres im entsprechenden Netz und daher natürlich auch für die dort ladenden Elektroautos.
Kurz zusammengefasst sagt der Aufsatz, dass Produktion und Verbrauch im Stromnetz laufenden Schwankungen unterworfen sind und sich der momentane Emissionsfaktor daher ununterbrochen ändert. Dagegen ist nichts einzuwenden. Das ist lange bekannt und schon vielfach untersucht und veröffentlicht worden. Es hat allerdings keine praktische Relevanz für die Berechnung des durchschnittlichen Emissionsfaktor, denn diese Schwankungen sind darin berücksichtigt.
Darf der Emissionsfaktor verdoppelt werden?
Zu kritisieren ist, wenn einer der Autoren daraus die steile Behauptung ableitet und in der Öffentlichkeit verbreitet, dass der Emissionsfaktor von Elektroautos in Wirklichkeit verdoppelt werden müsse und Elektroautos daher viel dreckiger seien als bisher angenommen.
Folgen wir der Argumentation des Autors dann müsste die Verdoppelung des Emissionsfaktors selbstverständlich für alle neu ans Stromnetz angeschlossenen Verbraucher gelten, sofern es nicht-elektrische Ausweichtechnologien gibt, denn sie verursachen ja ebenfalls einen vermeidbaren Mehrverbrauch. Warum sollte das nur für neu angeschaffte Elektroautos gelten? Neue Elektroöfen und -herde kann man durch Gasöfen und -Herde ersetzen, Wärmepumpen durch Ölheizungen, Lampen durch Kerzen und statt fernzusehen kann man sich mit dem Handy informieren, das spart Strom. Ähnlicher Ersatz lässt sich für viele neu gekaufte elektrische Geräte finden. Müssen wir deren Emissionsfaktoren ebenso verdoppeln? Letztlich gingen alle heutigen elektrischen Verbraucher irgendwann einmal als Neugeräte ans Netz. Müssen wir den Emissionsfaktor insgesamt verdoppeln?
E-Autos ersetzen oft einen Verbrenner
Auch andersherum kann man argumentieren: Die meisten Elektroautos werden heute nicht von Erstkäufern erworben, schon allein aufgrund der derzeit noch höheren Preise. Sie ersetzen also einen Verbrenner und dessen Emissionen. Muss man die eingesparten Emissionen dann nicht vom Emissionsfaktor des Elektroautos abziehen?
Rechnen wir das einmal: Ein Mittelklasse-Elektroauto braucht rund 22 kWh incl. Ladeverluste auf 100 km. Mit dem aktuellen Emissionsfaktor Strominlandsverbrauch (in 2020: 380 g/kWh) sind das 8,36 kg CO2. Wir folgen der Argumentation der Autoren und verdoppeln den Wert willkürlich auf 16,7 kg.
Der eingesparte Pkw mit Benzinmotor verbraucht heute typisch 7,3 ltr/100km (aktueller mittlerer Verbrauch aller Pkw in Deutschland laut KBA). Das entspricht mit 2,732 kgCO2/ltr (incl. Vorkette) dann 19,9 kg CO2. Also wäre der richtige Emissionsfaktor für Elektroautos sogar negativ?! Und müsste man nicht auch den Entfall von Lärm und von Diesel- und Schwefelgestank in den Innenstädten einpreisen?
Eine Berechnung
Und weiter: Elektroautos werden immer häufiger beim Parken am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen geladen, also über den Tag. Wegen Corona arbeiten viele Menschen im Homeoffice. Auch sie laden ihre Autos tagsüber. Tagsüber haben wir oft ein Überangebot an PV-Strom. Es besteht die Gefahr von Netzinstabilität und Abregelung. Diese Situation wird durch ladende Elektroautos verbessert, die Autos verhalten sich netzdienlich. Müsste man ihren Emissionsfaktor deshalb nicht eigentlich reduzieren, sagen wir beispielsweise auf die Hälfte?
Diese Ausführungen machen deutlich, dass eine Sonderbehandlung einzelner elektrischer Verbraucher hinsichtlich ihrer Emissionen gleichermaßen willkürlich wie fruchtlos ist. Jede Anwendung, die wir von der Verbrennung fossiler Kraftstoffe auf elektrische Energie umstellen, ist ein Gewinn für unsere Umwelt. Das gilt neben Elektroautos auch für die Heizung mit Wärmepumpen und für vieles mehr.
Vernünftig: Die Rechnung mit mittleren Emissionen
Die einzige vernünftige Vorgehensweise ist die Rechnung mit den gleichen mittleren Emissionen für alle elektrischen Verbraucher in einem Netzgebiet. Genau das machen die vielfältigen auf diesem Forschungsfeld veröffentlichten nationalen und internationalen Studien seit vielen Jahren. Eine offensichtliche Ausnahme ergibt sich nur dann, wenn Erzeuger und Verbraucher direkt gekoppelt sind, also beispielsweise an einer PV-Anlage.
Aber auch die immer wieder vorgebrachte These, dass Elektroautos den Übergang zur regenerativen Stromproduktion behindern und dass man daher die Verbrenner noch lange Zeit weiter propagieren und Elektromobilität bremsen solle, ist auf mehreren Ebenen falsch.
Welche Rolle spielt der Stromverbrauch?
Tatsächlich spielt der Stromverbrauch von Elektroautos in Summe keine wesentliche Rolle. Würden fast alle Autos in Deutschland elektrisch fahren, so hätten wir zwischen 20 bis 25 % höheren Strombedarf. Von einem weitgehenden Verkaufsende der Verbrenner-Pkw sind wir mindestens 10 Jahre entfernt. Dann folgen weitere typisch 15 Jahre, bis sich der Pkw-Flottenbestand einmal weitgehend umgewälzt hat. Die zusätzliche Stromproduktion haben wir also, optimistisch gerechnet, in frühestens 25 Jahren vollständig aufzubringen. Anders formuliert: Wir müssen lediglich knapp 1 % zusätzliche Stromproduktion pro Jahr aufbauen, um den Mehrbedarf durch Elektroautos aufzufangen. Im Vergleich zu den sonstigen Anstrengungen, die für die Umstellung auf regenerative Stromerzeugung zu leisten sind, ist dies ein geringer Mehraufwand. Es gibt dazu eine Vielzahl von Untersuchungen und eindeutige Statements der großen Stromerzeuger.
Wo liegen die eigentlichen Herausforderungen?
Die wirklichen Herausforderungen der Elektromobilität werden vom Autor des Artikels gar nicht erwähnt: Wir müssen für viele Millionen Menschen, die kein Eigenheim und keinen eigenen Parkplatz haben, komfortable Lademöglichkeiten schaffen. Wir müssen die Entwicklung und Produktion der neuen Technologien hochfahren, optimieren und die Kosten reduzieren. Wir müssen neue Autos entwerfen, denn zu Elektroautos umgepfriemelte Verbrenner sind in Zukunft nicht mehr wettbewerbsfähig. Alles das braucht vor allem eines: Ganz viel Zeit. Wir können nicht jahrzehntelang in aller Ruhe die Stromproduktion umbauen und anschließend überlegen, was wir mit dem Pkw-Verkehr machen. Im Verkehrssektor sind die Emissionen seit 30 Jahren nicht gesunken. Wir müssen die Umstellung auf Elektromobilität jetzt mit voller Kraft weitertreiben.
Und noch etwas: Es wird versprochen, dass Verbrenner zukünftig durch neue hybride Technologien viel weniger Kraftstoff verbrauchen werden als bisher. Man spricht sogar von einer Halbierung, etwa 3 bis 4 ltr/100km.
Wie hoch ist das Sparpotenzial von Hybriden?
Schaut man nüchtern auf die technischen Entwicklungen der Pkw in den letzten 30 Jahren (Stichjahr 1990), dann kann man feststellen, dass der mittlere Fahrzeugverbrauch in etwa um 33 % zurückgegangen ist. Das sind im langjährigen Mittel sage und schreibe 1 % Verbrauchsverbesserung pro Jahr. Übrigens wurde der Emissionsfaktor der Stromproduktion in der gleichen Zeit von knapp 800 auf heute 380 gCO2/kWh verbessert und er fällt beständig weiter, allen neuen Elektroautos zum Trotz, aber das nur am Rande.
Hybride Pkw fahren schon seit rund 10 Jahren in größerer Zahl über unsere Straßen. In der letzten Zeit werden fast alle Neufahrzeuge mit hybriden Technologien ausgerüstet. Trotzdem stagniert der mittlere, reale Kraftstoffverbrauch pro Pkw seit rund 10 Jahren. Schlimmer noch: In den letzten rund 5 Jahren gingen sowohl der reale Flottenverbrauch (Angaben KBA) wie auch der mittlere Verbrauch der Neufahrzeuge (Angaben der Hersteller) leicht nach oben. Was soll man von dem Versprechen einer Halbierung des Kraftstoffverbrauchs in naher Zukunft halten?
Machen E-Fuels Sinn?
Vom gleichen Autor werden strombasierte, synthetische Kraftstoffe als angeblich umweltfreundliche Alternative propagiert. Rechnet man ehrlich mit den aktuellen 7,3 ltr Kraftstoffverbrauch auf 100 km, dann benötigen synthetische Kraftstoffe über 10-mal mehr elektrische Energie als Elektroautos. Wie passt das zu der Forderung, dass man den Emissionsfaktor für neue Verbraucher verdoppeln soll? Die Schadstoffbelastung der Innenstädte verbessert sich durch synthetische Kraftstoffe auch nicht.
Zum Schluss ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass wir in Deutschland in diesem Spiel gar keinen entscheidenden, internationalen Einfluss haben. Die meisten unserer europäischen Nachbarn haben bessere Emissionsfaktoren als wir und werden sowieso auf Elektromobilität umstellen. Immer mehr Städte planen Einfahrverbote für Pkw mit Verbrennungsmotoren, teils sogar schon für Hybride, z.B. Paris. Die USA und auch China sind uns deutlich voraus. Selbst Schwellenländer wie Indien gehen die Elektrifizierung des Straßenverkehrs inzwischen offensiv an. Die Gründe sind vielfältig: Neben dem lokalen und globalen Umweltschutz spielen auch Wettbewerbsthemen eine wichtige Rolle. Immer mehr Hersteller, u.a. FIAT, erwarten, dass Elektroautos spätestens zum Ende des Jahrzehnts preisgünstiger als Verbrenner sein werden und stellen ihre Produktion vollständig um. In den gesamten Betriebskosten (TCO – Total Cost of Ownership) sind Elektroautos laut ADAC ganz überwiegend heute schon führend.
Wollen wir die Bremser sein?
Wir müssen uns entscheiden, ob wir vorne dabei sind und damit unsere führende Stellung im internationalen Wettbewerb behalten oder ob wir uns als Bremser ans Ende des Zugs begeben. Zum Glück sind die Automobilkonzerne und die Zulieferindustrie in Deutschland nach langem Anlauf inzwischen ganz gut aufgestellt. Deshalb ist es mir um unseren Wirtschaftsstandort nicht allzu bange. Wir müssen aber weiter am Ball bleiben.
Autor:
Martin Doppelbauer
Univ.-Prof. Dr.-Ing.
Professur für Hybride Elektrische Fahrzeuge, Elektrotechnisches Institut (ETI)
Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)
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