Bremsstaub und Reifenabrieb: Was die neue Abgasnorm Euro 7 für E-Autos bedeutet. Und was für die Verbrenner. Ein Überblick.
Seit Monaten geistert die Abgasnorm Euro 7 durch die Medien und die Diskussion darum, wie streng sie ausfallen soll. Hintergrund: Für die zweite Hälfte des Jahrzehnts will die EU die Abgaslimits bei Pkw und Lkw noch einmal straffer ziehen. Und wichtig zu wissen ist: Erstmals sollen nicht nur die Abgaswerte, sondern auch Bremsstaub und Reifenabrieb eine Rolle spielen, wie der nun vorgelegte Entwurf zeigt. Und da auch E-Autos Bremsstaub und Reifenanbrieb emittieren, müssen auch sie die neuen Regeln einhalten.
Doch worum geht es im Einzelnen? Ein Überblick:
Was regelt eine Abgasnorm?
Die Einteilung in Schadstoffklassen wurde Anfang der 1990er-Jahre in der EU eingeführt, um den Abgasausstoß von Pkw, Nutzfahrzeugen, Motorrädern und Lkw schrittweise zu reduzieren und so die Luftqualität zu verbessern. Es startete mit der Norm Euro 1, seit 2014 ist Euro 6 in Kraft. In den vergangenen Jahren gab es nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen im Diesel-Skandal immer wieder Verschärfungen, die aktuelle Variante (seit 2020) heißt daher Euro 6d-ISC-FCM. Parallel zu den Pkw-Normen gab es bislang Nutzfahrzeug-Regularien, die meist mit der römischen Ziffer bezeichnet wurden, zuletzt also als Euro VI. Euro 7 führt beide Spielarten nun in einer Norm zusammen.
Für welche Fahrzeuge gilt die neue Norm?
Die Euro-7-Norm wird in angepassten Varianten für Pkw, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw und Motorräder gelten. Zumindest bisher war es bei den EU-Regeln so, dass sie zunächst bei neuen Fahrzeugtypgenehmigungen bindend wurden. Diese werden nötig, wenn ein komplett neues Fahrzeugmodell auf den Markt kommt. Bei Pkw ist das alle 7 bis 15 Jahre der Fall, bei Nutzfahrzeugen noch seltener. In einem zweiten Schritt werden die Grenzwerte und Regelungen dann für jedes neu zugelassene Fahrzeug obligatorisch. In der Regel liegen ein bis zwei Jahre zwischen diesen beiden Daten.
Sechs Schadstoffarten
Welche Schadstoffe spielen eine Rolle?
Bislang waren für sechs Schadstoffarten Vorgaben existent: Stickoxide, Kohlenmonoxid, Partikel, Kohlenwasserstoffe, Methan und Ammoniak. Letzteres wurde nur bei schweren Nutzfahrzeugen reguliert, künftig gibt es auch Limits für Pkw. Neu sind außerdem Grenzwerte für Formaldehyd und ultrafeine Partikel aus Bremsen- und Reifenabrieb. Bei Lkw und Bussen spielt künftig außerdem Distickstoffmonoxid eine Rolle.
Welche alten Grenzwerte werden strenger?
Alle Pkw dürfen künftig nur noch 60 Milligramm Stickoxid ausstoßen. Bei Dieseln lag der Wert bislang bei 80 Milligramm, für Benziner ändert sich in dieser Hinsicht nichts. Bei schweren Nutzfahrzeugen sinken laut EU-Kommission alle Limits gegenüber dem Euro VI-Niveau.
Was ist noch neu?
Neben neuen Grenzwerten sind aussagekräftigere Emissionstests im Labor und auf der Straße, mehr Digitalisierung und eine engmaschigere Überwachung bereits ausgelieferter Fahrzeuge vorgesehen.
Was gilt bei alternativen Antrieben?
Für E-Autos spielen die Verbrennungs-Schadstoffe keine Rolle. Wohl aber die Partikelemission aus Reifen und Bremsen. Wegen ihres hohen Gewichts können diese sogar stärker ausfallen als bei Verbrennerfahrzeugen. Dazu kommen neue Standards für die minimale Batterie-Lebensdauer. Die Energiespeicher von E-Autos, Plug-in-Hybriden und Hybridfahrzeugen müssen nach fünf Jahren oder 100.000 Kilometern noch mindestens 80 Prozent ihrer Ursprungskapazität bieten, nach acht Jahren beziehungsweise 160.000 Kilometern sind es 70 Prozent. Die Anforderungen entsprechen dem, was die meisten Hersteller aktuell freiwillig in Form von Garantien eh schon versprechen. Bei Lkw und Bussen gelten etwa weniger strenge Mindestwerte von 75 Prozent und 65 Prozent.
Während bei den Vorgaben zur Dauerhaltbarkeit der Batterien ein eindeutiger Wert aus dem Batteriemanagement des Fahrzeugs ausgelesen werden kann, stehen bei den neuen Faktoren Bremsabrieb und Mikroplastik nun zwar Grenzwerte fest, aus den bisherigen Dokumenten geht aber noch nicht genau hervor, wie diese Werte gemessen und überprüft werden sollen. Denn die Euro-7-Norm wird nicht nur auf dem Prüfstand erhoben, sondern enthält auch einen RDE-Part – also die „real driving emission“, gemessen auf der Straße. Entsprechende Testvorrichtungen mit hermetisch abgekapselten Radhäusern gibt es bereits und werden in der Entwicklung eingesetzt. Wie das für die Norm angewendet wird, ist aber noch nicht klar.
Wie die „Zeit“ berichtet, hoffe die Industrie, beim Thema Bremsabrieb für die Elektroautos mit der Verzögerung per Rekuperation anstatt der Scheibenbremse „und einer neuen Materialmischung bei den Bremsbelägen“ davonzukommen. Sinkt der Grenzwert ab 2035 auf drei Milligramm, könnte das nicht mehr ausreichen. Die Folge könnte ein System sein, welches Bremspartikel absaugt – ähnlich der Lösung, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bereits mit einem Demonstrations-Fahrzeug vorgestellt hat. Ähnliches gilt für das Mikroplastik des Reifenabriebs, welches auch in einem abgekapselten Radkasten abgesaugt werden könnte.
Bis zu zehn Jahre sauber
Was will die EU-Kommission erreichen?
Die Kommission erklärt gleich mehrere Ziele. Neben der Aktualisierung und Verschärfung der Verschmutzungs-Limits geht es ihr um eine bessere Kontrolle der Umsetzung durch die Industrie, auch auf digitalem Wege. Außerdem soll sichergestellt werden, dass Autos künftig auch noch zehn Jahre nach Erstzulassung sauber sind. Bislang wurden maximal fünf Jahre alte Autos kontrolliert. Nicht zuletzt soll die Neuregelung die Marktdurchdringung des Elektroautos stützen. In dieser Hinsicht kann die neue Abgasnorm auch als Mittel im Kampf gegen Klimawandel gesehen werden – in erster Linie geht es der Politik aber um Luftqualität.
Was sagt die Autoindustrie?
Der europäische Kfz-Herstellerverband ACEA hat direkt nach der Entscheidung der Kommission ernsthafte Sorgen angemeldet. Die Umweltvorteile des Entwurfs seinen sehr begrenzt, während er die Fahrzeugkosten stark erhöhe, lässt sich Verbandspräsident und BMW-Chef Oliver Zipse zitieren. Die Regelungen fokussierten sich auf extreme Fahrzustände, die im Alltag kaum eine Rolle spielten. Vor allem bei Lkw findet der Verband die Regelungen zu streng. Auch das deutsche Lobby-Pendant VDA erklärt, die verabschiedete Euro-7-Abgasnorm sei für Pkw bis Juli 2025 terminlich nicht umsetzbar und für schwere Nutzfahrzeuge bis Juli 2027 technologisch kaum realisierbar.
Was sagen Umwelt- und Verbraucherschützer?
Öko-Verbände haben die neuen Grenzwerte schon weit im Vorfeld als zu lasch kritisiert. Sie sehen zu wenige Verbesserungen gegenüber Euro 6. Eher autonahe Organisationen wie der ADAC sehen das ähnlich, werten die nur sanft gestiegene Anforderungsniveau allerdings auch als Vorteil: So könnten sich Autohersteller bei weiteren Optimierungen auf die CO2-Reduktion konzentrieren.
Wie schwer sind die Grenzwerte nun wirklich einzuhalten?
Schon heute dürften viele Pkw-Modelle – vor allem in den höheren Klassen – die kommenden Schadstoff-Hürden ohne große Modifikationen nehmen. VW nimmt das sogar für die im Sommer vorgestellte zweite Generation seines 1,5-Liter-Benziners in Anspruch – ein echter Volumenmotor, der auch in der Golf-Klasse zum Einsatz kommt. Erreicht wird das unter anderem dadurch, dass der eh schon vorhandene Partikelfilter im Abgasstrang näher an den Motor rückt, was eine effektivere Schadstoffreinigung ermöglichen soll. Zu den weiteren denkbaren Maßnahmen zählen leistungsfähigere Feinstaubfilter und aktiv vorgeheizte Katalysatoren, um die hohen Emissionen beim Kaltstart in den Griff zu bekommen. Technisch dürfte die Hürde demnach relativ locker zu nehmen sein.
Verkraftbare Kosten
Was kostet das?
Auch wenn die Grenzwerte nicht übermäßig ehrgeizig sind: Ohne zusätzliche Kosten werden sie wohl nicht erreichbar sein. Inwieweit diese an die Kunden durchgereicht werden, ist schwer vorauszusehen. Die EU-Kommission rechnet für Endverbraucher mit 90 bis 150 Euro Mehrkosten pro Fahrzeug. Busse und Lkw dürften um rund 2.600 Euro teurer werden. Der deutsche Verband der Automobilindustrie wird nicht konkret, spricht aber von signifikanten Preiserhöhungen, die auf Verbraucherinnen und Verbraucher zukämen und hält diese für eine unzumutbare Belastung.
Wie geht es weiter?
Dem Entwurf der EU-Kommission müssen nun noch Parlament und Rat zustimmen. In Kraft treten könnten die neuen Grenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge frühestens 2025, zwei Jahre später sind dann Lkw und Busse dran. Verzögerungen wären aber keine Überraschung.
Was kommt nach Euro 7?
Ein Teil der Euro-7-Anforderungen könnte sich schneller erledigen als gedacht. Denn spätestens ab 2035 gilt in der EU ein Quasi-Verbot für Autos mit Verbrennungsmotor. Viele Hersteller haben bereits angekündigt, schon Jahre vorher keine Benziner und Diesel mehr zu verkaufen und stattdessen nur noch E-Mobile anzubieten. Für die sind zahlreiche Schadstoff-Grenzwerte mangels Verbrennungsmotor irrelevant. SP-X/Titelfoto: pixabay
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