Beim Fahrradkauf geht es zunächst um die Größe des Bikes. Um die richtige Ergonomie zu finden, gibt es verschiedene Ansätze. Ein Überblick.
Fahrradgeometrie und ‑ergonomie ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren und dadurch auch sehr individuell. Die meisten Menschen kommen jedoch mit Fahrrädern „von der Stange“ zumindest subjektiv gut zurecht. Doch wenn man sich nur mit der ungefähren Rahmengröße sowie einer einigermaßen passenden Sattelposition zufriedengibt, leidet die Pedalier-Effizienz – und dadurch der Fahrspaß. Also: Augen auf beim Fahrradkauf.
Basierend auf Körpergröße und Schrittlänge können spezielle Formeln je nach Fahrradgattung die passende Rahmengröße wesentlich genauer ermitteln als die „Pi mal Daumen“-Methode. Dies macht entweder der Fachhändler vor Ort oder es funktioniert mithilfe eines speziellen Größenrechners im Internet. „Die Ergebnisse sind allerdings nur Empfehlungen. Es kann immer vorkommen, dass man von der Norm abweicht. Sei es durch einen größeren Oberkörper oder längere Beine. Und auch subjektive Eindrücke oder Prägungen entscheiden beim Fahrradkauf. Deshalb ist eine Probefahrt beim Fachhändler zu empfehlen“, rät Sebastian Marten vom Hersteller MTB Cycletech.
Stack and Reach statt Rahmenhöhe
Je Performance-orientierter der Fahrer ist, desto genauer und sensibler ist er bei der Einstellung. Die Rahmenhöhe hat deshalb gerade im sportlichen Bereich oftmals als Maß ausgedient, Stack und Reach haben sie abgelöst. Die beiden Werte geben grob gesagt an, welchen Platz der Radfahrer tatsächlich im Rahmen einnimmt (Mehr zu Geometrien hier). Deshalb veröffentlichen alle Hersteller ausgeklügelte Geometrietabellen zu ihren Rädern. „Diese liefern einen wichtigen Überblick über die einzelnen Längen und Winkel eines Fahrrades“, sagt Andreas Krajewski vom Hersteller Cannondale. „Um das auch nutzen zu können, braucht es sowohl Wissen über Fahrradgeometrie als auch über die eigenen Körpermaße.“ Der Fahrradhandel geht die Entwicklung mit: Viele Händler führen mittlerweile mit einfachen oder komplizierteren Geräten und Verfahren Vermessungen bei den Kunden durch, um so Rückschlüsse auf die richtige Rahmengröße sowie Sitzposition zu bekommen.
Feintuning für zu Hause
Zur Nachkontrolle und Verbesserung zu Hause bietet Ergonomie-Spezialist Ergon gar spezielle „Fitting-Boxen“ an. Je nach Fahrradtyp und Einsatzbereich können mithilfe von Wasserwaage, Maßband, Schablonen und Messwerten wie Schrittlänge und Lenkerhöhe die passenden Einstellungen des Rades überprüft und nachjustiert werden. „Oft ergeben sich dabei Überraschungen, weil beispielsweise der Rahmen zu klein oder zu groß gekauft wurde“, sagt Ergon-Sprecher Lothar Schiffner. In einem nächsten Schritt lassen sich die wichtigen Kontaktpunkte Sattel, Griffe und Pedale ergonomisch anpassen und richtig einstellen. „Der Austausch dieser Komponenten kann sinnvoll sein, damit ein schmerzfreies und somit effizienteres Radfahren ermöglicht wird“, so Schiffner weiter.
Jeder Radfahrer ist individuell …
Für viele Radhersteller, wie etwa auch MTB Cycletech, ist eine derartige Individualisierung bereits ein wichtiger Baustein der Firmenphilosophie. „Neben den drei ergonomischen Kontaktpunkten lassen sich auch Komponenten wie Vorbau, Lenker oder Gabel individuell auswählen, bis die passende Einstellung gefunden ist. Der Radfahrer erhält dadurch ein Fahrrad, das zu seinem Einsatzzweck und zu seinen körperlichen Bedürfnissen passt“, beschreibt Sebastian Marten. Die optimale Einstellung übernimmt dabei der Fachhändler, der beim Fahrradkauf in enger Absprache mit dem Kunden die individuellen Möglichkeiten ausprobiert.
Perfektioniert hat diesen Ansatz Stefan Stiener von Velotraum: Über ein eigens entwickeltes Messgerät, das einem Ergometer ähnelt, ermittelt er unter aktiver Mitarbeit der Kunden die passende Einstellung und Rahmengröße. Die Bein- und Rumpfmuskulatur ist bei der Probe aktiv und nicht statisch, wie bei einer einfachen Vermessung. „Das erinnert ein wenig an einen Termin beim Augenarzt. Der Radfahrer muss selbst die Erkenntnis haben, was ihm passt, braucht allerdings auch etwas Vertrauen in den Berater, da so manche Einstellung zunächst als unbequem empfunden werden kann“, berichtet Stiener.
Die Daten der gemeinsam mit dem Kunden ermittelten Sitzposition werden abschließend in der Kundendatei und im Produktionsauftrag erfasst, und dabei Rahmenmodell, ‑größe, Gabelschaftslänge, Vorbauwinkel und ‑länge und noch vieles mehr festgelegt. Stiener kann inzwischen auf eine Datengrundlage von ca. 20.000 Einstellungen zurückgreifen, die auch in die Weiterentwicklung seiner Rahmen und Räder mit einfließen.
… oder doch nicht?
Dass die Arbeit mit Körperdaten für Entwickler immer wichtiger wird, zeigt der neue Ansatz des Sportradherstellers Ghost. Ein Algorithmus berechnet bereits bei der Rahmenentwicklung eine zu Fahrstil und Größe passende Geometrie. Für die Werte wurden rund 100.000 Körperdaten analysiert. Dabei kam ans Licht: Die Proportionen der meisten Menschen seien innerhalb eines Größenspektrums ziemlich identisch. Die Produktentwickler bei Ghost haben deshalb fünf unterschiedliche Cluster erstellt, die sowohl für Männer als auch Frauen exemplarisch sind. Damit werden Körpergrößen von 1,56 Meter bis 1,96 Meter abgedeckt.
„Unsere neue Radgeometrie basiert auf international gesammelten Daten von Menschen. Während in der Regel Maße und Winkel das Nonplusultra sind, wollen wir, dass das Rad einfach passt und der Radfahrer sich wohlfühlt“, erklärt Brand-Manager Christian Morgenroth. „Wir können jetzt nahezu für jeden Mensch das passende Rad anbieten.“ „Super Fit“ lautet der Name des neuen Konzepts der Oberpfälzer, an dem sich sowohl Einsteiger als auch Profis beim Fahrradkauf orientieren sollen.
So einfach wie möglich
Der Hintergrund: Die Radauswahl soll für den Kunden so einfach wie möglich sein. Der Radfahrer muss nur seine Körpergröße wissen und wie er das Bike einsetzen möchte. Danach wird das Bike ausgesucht, das zu ihm passt und bereits die abgestimmte Geometrie für seinen Körper und Einsatzzweck hat. Je nach Größencluster ändern sich beispielsweise automatisch Lenkerbreite, Kurbellänge oder selbst der Federweg der Gabel. „Wir sagen nicht, dass unser Ansatz besser ist – er ist nur anders. Fahrradergonomie ist kein Hexenwerk, sondern soll so einfach wie möglich sein“, so Morgenroth. Bislang gibt es Super Fit lediglich bei zwei Mountainbike-Modellen, das Konzept wird jedoch sukzessive auf die komplette Range ausgebaut. Eine individuelle Anpassung soll nicht mehr notwendig sein, kann aber noch einfach bei Griffen und Sattelbreite erfolgen.
Unisize vereinfacht die Wahl
Es gibt allerdings auch Räder, die sich aufgrund ihrer Bauart und Geometrie an unterschiedliche Körpertypen anpassen können und deshalb nur eine Rahmengröße brauchen. Dazu zählen beispielsweise Falt‑, Lasten- und auch Liegeräder. „Unsere Räder decken durch einfache Einstellungsmöglichkeiten ein sehr breites Spektrum ab. So kann trotz einheitlicher Rahmengröße ein ergonomisch passender und komfortabler Sitz gefunden werden“, erklärt Alexander Kraft von HP Velotechnik.
Die Liegeradspezialisten präsentierten aktuell eine Weltneuheit: Einen Netzsitz, der alle bisherigen Konstruktionen in diesem Segment an Variabilität und Funktionalität übertreffen soll. Beim sogenannten „Ergomesh Premium“ lassen sich Sitz- und Lehnenfläche unabhängig voneinander in die gewünschte Neigungsposition bringen. Der aus mehreren Lagen Mesh-Gewebe bestehende Sitzkorpus verfügt zusätzlich über vier Einschübe für Polsterelemente. „Damit findet jeder Fahrer die Einstellung, bei der er sich wohl fühlt“, so Kraft. Trotz aller Finesse sollte man allerdings aufpassen, dass die individuelle Beinlänge korrekt eingestellt und somit die optimale Kraftübertragung gewährleistet ist. pd-f/Titelbild: pd-f/Bernd Bohle
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