Mit der Z H2 hat Kawasaki eines der stärksten Naked Bikes im Markt geschaffen. Braucht es 200 Kompressor-getriebene PS? Ein Fahrbericht.
Motorräder sind ja nicht nur zum Fahren da. Sie taugen auch als Abend füllenden Gesprächsstoff bei der Grillrunde unter Freunden, wo so manches Bikerlatein bierselig verbreitet wird. Ein Motorrad mit 200 PS ist da natürlich immer ein schöner Aufhänger, vor allem wenn dessen Technik ungewöhnlich ist. Bei der Kawasaki Z H2 geht es da vor allem um das Kraftwerk, ein Vierzylinder-Reihenmotor mit Kompressor-Aufladung. Neu ist das Triebwerk nicht: Bereits seit zwei Jahren ist es in weitestgehend gleicher Konfiguration im vollverkleideten Sporttourer H2 SX erhältlich.
Was bei den Herren der Grillrunde die Freudentränen in die Augenwinkel treibt, kommt bei den Damen nicht so gut an. „Sowas braucht keine Ehefrau“, ist nur eine der eher abfälligen Äußerungen ob des Kraftpakets aus dem Land der aufgehenden Sonne. Ob damit die Bärenkräfte oder das etwas klein und hart geratene Sitzbrötchen für eventuelle Mitfahrer(innen) gemeint ist, sei einmal dahingestellt. Die Frage drängt sich auf: Braucht man 200 PS auf einem unverkleideten Motorrad?
Es kommt drauf an, was man draus macht
Nun ja, sagen wir mal so: 200 ist nur eine Zahl. Es kommt drauf an, was man mit den vielen Pferdestärken macht. Unter anderem deswegen gibt es ja die Elektronik, die (übermütigen) Fahrern hilft, die Power zu kanalisieren – wie etwa Traktions- und Wheeliekontrolle, Fahr- und Leistungsmodi sowie alle anderen Assistenzsysteme bis hin zum Kurven-ABS. Die besitzt die Kawa freilich auch, und sie besitzt eine gute Dosierbarkeit dieser Kräfte über den Gasgriff. Je nachdem welcher Mode eingestellt ist (Rain, Road und Sport und Rider) reagiert die Gasannahme spontaner. Mittlerweile kennt man das ja.
Der Fahrer besitzt also jederzeit die Kontrolle über das Geschehen, thront recht hoch über der Z H2, ein Eindruck, der dadurch bestärkt wird, dass die Frontpartie raubtiermäßig nach unten abfällt. Dieses Raubtier knurrt im Stand recht kernig, aber nicht überlaut: Mit einem Standgeräusch von 92 dB ist sie auch in Österreich landstraßentauglich. Ein wenig irritiert die hohe Kaltlaufdrehzahl von 2.100 Touren, das ist man in Nach-Choke-Zeiten so nicht mehr gewohnt.
Ein steter und unwiderstehlicher Zug
Also aufgesessen und los. Die Gänge lassen sich auch ohne Kupplung nahtlos hoch- und wieder runtersteppen, das moderne TFT-Display liefert alle Infos spiegelfrei und jederzeit ablesbar. Und was ist nun mit den 200 Pferdchen? Die galoppieren los, wenn man entschieden am Hahn zieht (und viel freie Strecke vor sich hat). Schon ab knapp über Standgas setzt ein steter und unwiderstehlicher Zug ein, der erst bei 11.000 Touren endet. Seidig wie es nur japanische Vierer es vermögen zieht es die Kawa nach vorne, ohne Leistungsloch und ohne Gnade – und scheinbar ohne Ende. Dabei scheint der Motor relativ unaufgeregt, was sicher auch von der zurückhaltenden Soundkulisse herrührt. Dennoch ein Spektakel. 137 Newtonmeter Drehmoment weisen die Papiere aus – man glaubt es sofort.
Das Zwitschern des Kompressors
Vom Kompressor spürt man wenig, allenfalls beim Gaswegnehmen lässt er durch ein Zwitschern oder Sirren aufmerken, da er den Überdruck abbaut. Die Brembo-Stopper fangen den Vorwärtsdrang gut dosierbar ab, auch wenn man ein wenig mehr Handkraft benötigt als von Bremsen dieser Art gewohnt. Das Umwerfen der Kawa in engen Kurven gelingt trotz der 240 Kilo Lebendgewicht leicht, nur wenn es ein wenig tiefer runter geht, zeigt sie sich ein wenig widerspenstiger. Erledigt werden diese Aufgaben von einem voll einstellbaren Fahrwerk vorne und hinten, das den Landstraßenanforderungen jederzeit gewachsen ist. Auf der Rennstrecke konnten wir es nicht testen, wobei dies auch nicht das angestammte Revier der Z H2 ist. Sie mag die Landstraße und sie mag viel Platz für Auslauf.
Unterstrichen wird dieser Eindruck von der komfortablen Sitzposition, die durch den hohen Lenker und den angenehmen Kniewinkel bedingt ist. Allein der breite Tank behindert den engen Knieschluss ein wenig. Einige Details wollen wir an dieser Stelle noch erwähnen: So ist der Auspuff ein wenig zu wuchtig geraten – wohl der neuesten Abgasnorm wegen. Der Blinker verfügt nicht über einen automatischen Rücksteller, und unter dem Soziusplatz findet man ein wenig Raum für Kleinigkeiten.
Ist weniger manchmal mehr?
Bleibt der Blick auf die Kosten. Mindestens 17.000 Euro muss man für die Z H2 hinblättern, was angesichts des Gebotenen ein angemessener Preis scheint. Es gibt sie in drei Rahmenfarben: rot, grün (logisch!) und schwarz. Auf unseren Landstraßentouren kamen wir auf einen Schnitt von 5,5 Liter auf 100 Kilometer, worüber man sich nicht beklagen kann. Der Bordcomputer verharrte seltsamerweise stets auf mehr als 7,0 Liter. Die Serviceintervalle liegen bei angenehmen 12.000 Kilometer.
Fazit: Der Vorwärtsdrang der Z H2 ist spekatulär, in allen anderen Disziplinen schlägt sie sich gut, leistet sich keine Schwäche. Die Frage, ob man 200 PS auf einem Naked Bike braucht, muss jeder für sich beantworten. Unsere Erfahrung: Weniger ist manchmal mehr. Dem würde auch die beunruhigte Ehefrau zustimmen.
Technische Daten – Kawasaki Z H2
Motor: Flüssiggekühlter Vierzylinder-Viertaktreihenmotor, vier Ventile pro Zylinder, Hubraum 998 ccm, Leistung 147 kW/200 PS bei 11.000/min, Drehmoment 137 Nm bei 8.500/min, Sechsganggetriebe, Kette.
Fahrwerk: Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-Downgabel Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn 320 mm, Vierkolben-Festsattel; hinten 260 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel.
Maße und Gewichte: Radstand 1.455 mm, Sitzhöhe 830 mm, Gewicht vollgetankt 239 kg, Tankinhalt 19 Liter.
Messwerte: Höchstgeschwindigkeit 267 km/h, Beschleunigung 0 – 100 km/h: 3,5 sek, Testverbrauch: 5,5 Liter/100 km.
Preis: ab 17.095 Euro.
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