Die Fahrrad-Demo „Kidical Mass“ sollte in diesem Jahr erstmals in 60 deutschen Städten stattfinden. Nun wurde sie abgesagt.
Kinder, Jugendliche und Familien wolltenam 21. und 22. März 2020 für Fahrrad-freundlichere Städte demonstrieren. Wegen des Coronavirus wurde sie nun abgesagt.
In mehr als 60 Städten in Deutschland und in der Schweiz sollte die diesjährige Kidical Mass stattfinden – und damit größer sein als alle Vorgänger. Die Teilnehmer fordern eine neue Verkehrspolitik. „Wir wollen, dass sich Kinder sicher und selbständig mit dem Fahrrad in unseren Städten bewegen können. Die eigenständige Mobilität ist enorm wichtig für die kindliche Entwicklung, sie fördert Bewegung, Selbstbewusstsein und das soziale Miteinander. Würde ich mein Kind hier allein mit dem Rad fahren lassen? Wenn die Antwort nein lautet, dann muss was passieren. An dieser Frage muss sich eine Stadt messen lassen“, erklärt Organisatorin Simone Kraus.
Die bundesweite Aktion, die in dieser Form erstmalig ist, wurde von der Kidical Mass Köln ins Leben gerufen. Sie wird von ADFC, Campact, Changing Cities, Radkomm, VCD sowie mehr als 110 lokalen und regionalen Vereinen, Organisationen und Initiativen unterstützt und organisiert.
In den Städten fehlen die Radwege
In unseren Städten sind die Bedingungen für Radfahrende, insbesondere für Kinder und Jugendliche sehr schlecht. Es fehlt vor allem an Platz: zu schmale, ungeschützte oder oft gar keine Radwege. Viele Eltern haben Angst um ihre Kinder und fahren sie lieber mit dem Auto. 85 Prozent der Befragten in den Großstädten und 74 Prozent insgesamt würden Kinder nur mit schlechtem Gefühl allein Fahrradfahren lassen (ADFC-Fahrradklima-Test 2018). Immer weniger Kinder können sicher Radfahren.
Die Politik tue viel zu wenig, um die Situation zu verbessern. Aktuelle Maßnahmen wie die Einrichtung von Fahrradstraßen, die dennoch für den Durchgangsverkehr offen sind, oder bloße Markierungen auf viel befahrenen Straßen reichten bei weitem nicht aus, so das Bündnis. Für eine Verkehrswende brauche es ein progressiveres Vorgehen, so wie es unsere europäischen Nachbarn etwa in Utrecht oder Gent vormachen.
„Eine komplett andere Priorisierung“
Die Kidical Mass will die Menschen für eine nachhaltige Mobilität begeistern. Fahrradfahren muss sicher und bequem werden, damit alle Generationen aufsatteln. „Wir wollen eine komplett andere Priorisierung und Flächenaufteilung bei der Stadt- und Verkehrsplanung. Wir fordern ein Umdenken bei Politik und Verwaltung hin zu einer Stadtplanung, die die Menschen in den Fokus rückt. Dazu gehören zwingend die fahrradfreundliche Gestaltung unserer Städte und die konsequente Umsetzung von Vision Zero. Denn Fahrradstädte sind auch kinderfreundliche Städte“, sagt Organisator Steffen Brückner.
Die Kinder wissen genau, wie eine fahrradfreundliche Stadt aussehen muss, beispielsweise der 11-jährige Johann: „Bequem nebeneinander Rad fahren und quatschen können und vor allem keine Autos mehr vor meiner Schule!“ Die Kidical Mass fordert Tempo 30 innerorts und durchgängige, engmaschige Radwegenetze in den Städten, in denen Schulradwegenetze integriert sind. Im Umfeld von Schulen sollen flächendeckend Fahrradstraßen und als Sofortmaßnahmen Schulstraßen nach Wiener Vorbild eingerichtet werden.
Lebenswerte Städte für alle Generationen
Die Veranstalter betonen, dass die Kidical Mass mehr ist als eine Fahrraddemo. Die Initiative setzt sich für lebenswerte Städte für alle Generationen ein. Eine kindersichere Radinfrastruktur ermögliche angstfreies Radfahren für Menschen jeden Alters. Die kinderfreundliche, grüne Stadt habe jede Menge Platz zum Spielen – und für Begegnungen. Auch von der besseren Luft- und Lebensqualität einer Fahrradstadt profitierten alle.
Der Begriff Kidical Mass ist kaum zu übersetzen. Er leitet sich vom Begriff der critical mass, also kritische Masse, ab, der aus der Kernforschung stammt. Er bezeichnet den Zeitpunkt einer bevorstehenden Kettenreaktion. HM/Titelfoto: Stefan Flach
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