Als erstes Serienauto lenkt der Lexus RZ 450e „by wire“. Das fühlt sich zunächst komisch an, eröffnet aber neue Chancen.
In der langen Geschichte des Automobils wurde so ziemlich an jedem Detail schon rumgefeilt. Lenkrad und Lenkung blieben dabei bislang weitgehend außen vor. Das letzte archaische Überbleibsel aus der guten alten Herrenfahrerzeit wird nun grundlegend neu gedacht. Auch in Hinblick auf autonom fahrende Modelle bietet Lexus seinen neuen, vollelektrischen Crossover RZ 450h künftig optional mit einem “Steer-by-wire”-System an. Dabei werden Lenkbewegungen per Sensoren übertragen, es gibt also weder eine Lenksäule, noch besteht eine mechanische Verbindung zu den Rädern. Die aufwendige Technologie verfügt über eine mehrfache Ausfallsicherung für die Prozessoren sowie eine Notversorgung für den Strom. Zudem eröffnet sie später mal komplett neue Freiheiten bei der Architektur von Cockpit und Innenraum. Im Prinzip lässt sich das Lenkrad dann überall platzieren, oder kann sich auch komplett ins Armaturenbrett zurückziehen.
3.500 Euro Aufpreis
Beim RZ 450e dürfte das System rund 3.500 Euro extra kosten und soll als Blaupause für kommende Modelle aus dem Konzern dienen. Wer “Steer-by-wire” ankreuzt, bekommt auch immer das spacige “One-Motion-Grip” Yoke-Lenkrad. Ohne durchgehenden Lenkkranz sieht es aus, wie direkt aus einer Spielekonsole ins Auto verpflanzt.
Im Vergleich zur konventionellen Lenkung, die Lexus auch für den RZ anbietet, erfordert die “Steer-by-wire”-Lenkung weniger Kraftaufwand, soll deutlich schneller und präziser reagieren. Ähnlich wie bei einem Formel1-Boliden ist sie so direkt ausgelegt, dass vom linken bis zum rechten Anschlag nur eine 150-Grad-Drehung nötig ist, um die Räder komplett einzuschlagen. Ein Übergreifen der Hand entfällt also. Gerade beim Rangieren könnte das ein echter Komfortgewinn sein.
Komplett ausgereift?
Das klingt nach Spaß und fühlt sich auch nach was ganz Neuem an. So komplett ausgereift scheint das System aber noch nicht zu sein. Zumindest gilt das für das Vorserienmodell, mit dem wir auf einem Rennkurs in der Nähe von Barcelona erste Eindrücke sammeln konnten. Wenn der Fahrer bei zügiger Fahrt kurze schnelle Steuerbewegungen macht, verhärtet sich die Lenkung, offenbar ist dann das System irgendwie überfordert. Durch einen langsamen Pylonen-Parkour wiederum, analog zu einem engen Parkhaus, eiert man ziemlich eckig und unbeholfen wie ein Fahranfänger. Mit ein wenig Übung geht das sicher besser, aber die Feinabstimmung fehlt definitiv noch. Lexus räumt die Kritik ein und verspricht bis zum Serienanlauf Ende des Jahres nachzubessern. Dann dürften vor allem jüngere Käufer zum Yoke-Lenkrad greifen, glaubt Lexus. Mehrheitlich Chinesen, die lieben so was. Von den jährlich 32.000 gebauten RZ 450e sollen ohnehin 18.000 ins Reich der Mitte gehen. Lexus erwartet eine Bestellrate von etwa 25 Prozent.
Eine warme Decke für die Beine
Natürlich ist der RZ viel mehr als „nur” das Ergebnis einer Steuer-Reform. Dank seines Radstands von 2,85 Meter hat er innen richtig viel Platz, auch hinten. Ein modernes Multimedia-System mit einem glasklarem 14 Zoll-Touch-Display zieht ebenso mit ein wie ein großes, wärmedämmendes Panoramadach, dessen Transparenz sich auf Knopfdruck von klar bis undurchsichtig dimmen lässt oder der neue “Radiator Heater”, eine Art Heizstrahler, der sich wie eine warme Decke um die Beine der vorderen Passagiere wickelt.
Technisch kann der RZ aus dem Vollen schöpfen. Als erstes, von Geburt an vollelektrisch konzipiertes Lexus-Modell, teilt er sich die E-TNGA-Plattform mit Konzernbruder Toyota BZ4X. Unten im Fahrzeugboden flachgelegt, sitzt eine Lithium-Ionen-Batterie mit 96 Zellen und sorgt für einen tiefen Schwerpunkt. Die Kapazität beträgt 71,4 kWh, die Reichweite im sogenannten Range-Driving-Modus soll bei über 400 Kilometer liegen, der Verbrauch unter 18 Kilowattstunden pro 100 Kilometer betragen – und damit bis zu 20 Prozent sparsamer sein als seine Konkurrenten. Lexus verspricht zudem, dass der Akku nach zehn Jahren noch mindestens 90 Prozent seiner ursprünglichen Leistung hat.
Mehr als 400 Kilometer Reichweite
Grundsätzlich fährt der RZ als Allradler. Dafür sitzt vorne ein E-Motor mit 150 kW/204 PS, an der Hinterachse einer mit 80 kW/109 PS. Die Gesamtleistung beträgt 230 kW/313 PS. Die Kraft wird über den neuen E-Axle-Antrieb verteilt. Je nach Fahrsituation kann variabel und blitzschnell bis zu 100 Prozent der Kraft von vorne nach hinten geleitet werden – oder umgekehrt. Auch die einzelnen Räder erhalten in Millisekunden, je nach Tempo, Lenkwinkel oder G-Kräften ihre Antriebskraft zugeteilt. Das soll in Kurven die Aufbaubewegungen der Karosserie minimieren und für mehr Stabilität sorgen. Was bei unseren Testfahrten schon mal ziemlich überzeugend geklappt hat. Der 4,81 Meter lange und über zwei Tonnen schwere schwere RZ 450 h fühlt sich erstaunlich handlich an. Dabei komfortabel und leise, wie es dem Premium-Anspruch entspricht.
Über Alltagstauglichkeit, Ladezeiten oder Reichweiten sprechen wir dann Anfang 2023, wenn die ersten Serienmodelle anrollen. Zu Preisen, die Lexus jetzt noch nicht verraten will. Gut 65.000 Euro dürften dann aber schon auf der Rechnung stehen. SP-X
Lexus RZ 450e – Technische Daten:
Fünftüriger Elektro-SUV mit Allradantrieb; Länge: 4,81 Meter, Breite: 1,90 Meter, Höhe: 1,64 Meter, Radstand: 2.85 Meter.
Elektroantrieb, Zwei E-Motoren, vorne 150 kW/204 PS, hinten 80 kW/109 PS, Systemleistung 230 kW/313 PS, maximales Drehmoment 435 Nm, Automatikgetriebe, Lithium-Ionen Batterie mit 71,4 kWh. 0-100 km/h: 5,6 s, Vmax: 160 km/h, Stromverbrauch: unter 18 kWh/100 km (WLTP, Zielwert), max. Reichweite über 400 km (WLTP, kombiniert).
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