E-Transporter dürften bei Lieferdiensten zum Standard werden. Vor allem der Versandhändler Amazon hat ehrgeizige Ziele.
Ob Postpakete, Pizza oder der Wochenendeinkauf: Lieferdienste erleben nicht erst seit der Corona-Pandemie einen Boom und dürften auch in Zukunft weiterwachsen. Damit das nicht zum Problem für Stadtluft und Weltklima wird, wollen die Logistikunternehmen künftig verstärkt E-Transporter einsetzen. Erste Erfahrungen zeigen, dass der Abschied vom Diesel-Transporter funktioniert – zumindest in kleinem Stil.
Seit 2012 ist allein die Zahl der zugestellten Pakete in Deutschland um eine Milliarde auf rund 3,25 Milliarden gewachsen. In den kommenden Jahren dürfte das Volumen jährlich um weitere 5 Prozent zulegen. Einerseits ein gigantisches Geschäft: Rund 12 Milliarden Euro haben die Paketdienste 2019 in Deutschland umgesetzt. Andererseits ein Emissionsproblem. Und eine schleichende Image-Gefahr. Denn auch viele Versandhaus- oder Online-Supermarkt-Kunden legen Wert auf Nachhaltigkeit.
Amazon: Ziel 50 Prozent
Die Lösung könnte die E-Mobilität sein. Immer mehr Autohersteller nehmen batteriebetriebene Transporter ins Programm, immer mehr Logistikunternehmen ordern die Modelle. Oder lassen sich E-Transporter sogar maßschneidern, wie etwa der US Postal Service mit seinen Oshkosh-Mobilen oder Amazon USA, die kräftig beim kalifornischen Start-up Rivian eingekauft haben. In Deutschland hingegen setzt der US-Konzern auf bewährte Serien-Technik von der Stange. Zuletzt hat Amazon 600 elektrische eVito- und eSprinter-Transporter bei Mercedes-Benz geordert, bis Ende des Jahres soll die E-Transporter-Flotte in Deutschland auf 1.200 Fahrzeuge wachsen, perspektivisch werden es 1.800. Und selbst das soll nur der Anfang sein: Bis 2030 will Amazon 50 Prozent aller Pakete klimaneutral zustellen.
Kein Reichweiten-Problem
Die Erfahrungen bislang sind gut – trotz der speziellen technischen Rahmenbedingungen. „Operativ gibt es keinen Unterschied zum Verbrenner“, so Daniel Kasack, bei Amazon für die Flottenentwicklung zuständig. Natürlich auch, weil die Mercedes-Lieferwagen auf passenden Routen eingesetzt werden, die eVito für kürzere Runden, die größeren eSprinter auf längeren Touren. Ausgeliefert wird in einem 40-Kilometer-Radius um die lokalen Lagerzentren von Amazon, die Reichweite von bis zu 184 Kilometern wird dabei selten komplett ausgenutzt. Rund 20 Prozent der Energie verbleiben im Speicher.
In Zukunft sollen weitere Routen elektrifiziert werden. Mittelfristig sogar massiv. Dabei hilft auch technischer Fortschritt: „In der nächsten Generation des eSprinter wird sich die Reichweite je nach Konfiguration mehr als verdoppeln“, kündigt Alex Strehle von Mercedes-Benz Vans an. Ab 2023 würden die dann mehr als 300 Kilometer Reichweite auch für längere Lieferfahrten über Land reichen. Auf lange Sicht will Amazon auch den Verteilerverkehr auf der „Middle Mile“ elektrifizieren. Ob mit Batterien oder Brennstoffzellenautos, bleibt abzuwarten.
Höhere Zuverlässigkeit
Auf der letzten Meile spielt aber voraussichtlich das Batterieauto die zentrale Rolle. Amazon hat zahlreiche seiner Stationen mit Ladetechnik ausgestattet, um bis zu 180 Lieferfahrzeuge pro Standort über Nacht mit Strom zu versorgen. Insgesamt 1.100 Ladesäulen sind schon deutschlandweit am Netz, weitere sollen folgen. Morgens geht es dann mit vollem Akku an die Beladung mit Paketen, bevor die meist rund 30 Kilometer ins Zustellgebiet absolviert werden. Bislang laut Amazon ohne größere Probleme.
Auch die Fahrer schätzen die neuen E-Mobile. „Wir erhalten vor allem positives Feedback zur Einfachheit des Fahrens“, so Daniel Kasack von Amazon. Auch die Zuverlässigkeit sei aus Nutzersicht höher als bei ihren herkömmlichen Diesel-Transportern. Kritik gibt es allerdings auch, vor allem an der geringeren Heizungskapazität. Die Wärme muss mit Hilfe der Batterie erzeugt werden, weil die Abwärme des Verbrenners fehlt.
Gleichauf bei den Kosten
In Sachen Kosten liegen die E-Transporter trotz ihres höheren Anschaffungspreise mindestens gleichauf mit entsprechenden Diesel-Modellen. Die Verbräuche sind Kasack zufolge gut, die Wartung dürfte voraussichtlich günstiger werden. Genaue Daten liegen rund ein halbes Jahr nach Einführung der Mercedes-Stromer aber noch nicht vor.
Auch von der Kundschaft erhält Amazon nach eigener Aussage positive Kritiken. Geschätzt werden die geringen Fahrgeräusche und das Fehlen von Abgasen. Diese Erfahrungen lassen sich offenbar generalisieren. Einer Umfrage der Otto Group zufolge wären 41 Prozent der Verbraucher sogar bereit, für die emissionsfreie Zustellung Mehrkosten in Kauf zu nehmen. Zumindest in der Theorie.
E-Mobilität wird Standard
In der Praxis wird die E-Mobilität wohl sowieso Standard bei motorisierten Paket-, Liefer- und Kurierdiensten werden. Neben Mercedes elektrifizieren auch die anderen großen Hersteller mittlerweile ihre Lieferwagenflotten. Noch liegen die Reichweiten meist unterhalb von 200 Kilometern – deutlich höhere Werte sind aber bereits in Sichtweite. Holger Holzer
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