Im Testzeitraum von 14 Tagen fallen uns an einem Auto viele Kleinigkeiten auf. Das Test-Tagebuch fasst diese zusammen. Der Kandidat: GWM Ora 07 GT AWD.
29.11.2024: Noch sind chinesische Autos auf unseren Straßen Exoten (bis auf MG vielleicht). Entsprechend sieht man den Ora 07 von Great Wall Motors (GWM) noch kaum im Straßenbild. Dabei sticht er mit seinem rundlichen Design sofort ins Auge: Vorn erinnert er ein wenig an Porsche, die Rückleuchten scheinen von Bentley inspiriert. Das coupéartige Heck indes ist ein Alleinstellungsmerkmal des Ora 07, dem großen Bruder des auch von uns schon getesteten Ora 03.
Keine Frage, der 07 ist ein Hingucker. Es gibt ihn in zwei Varianten: mit einem 67 kWh großen Akku (64,3 kWh netto) und einem Vorderradantrieb mit 150 kW in den Ausstattungsstufen Pure und Pro sowie als Allradversion (GT) mit zwei Motoren, einer Gesamtleistung von 300 kW (408 PS) und einem 86 kWh (83,5 kWh) großen Akku. Mit dem kleinen Akku beträgt die WLTP-Reichweite 440, mit dem großen 520 Kilometer.
Ora 07: Zwei Varianten, drei Ausstattungen
Bei uns vorstellig wird dieser Tage die komplett ausgestattete GT-Version für 53.490 Euro brutto, zu der man lediglich zwei Farben als Extra draufsatteln kann, die 790 Euro Aufpreis kosten. Für den Pure mit kleinem Akku muss man 41.990 Euro hinblättern, aber auch diese Version ist bereits gut ausgestattet.
Der Verbrauch wird von GWM mit 17,5 kWh je 100 Kilometer angegeben, was angesichts der derzeitigen Temperaturen kaum erreichbar erscheint. Der Bordcomputer zeigt zum Testbeginn einen Wert von 22,0 kWh an, und erfahrungsgemäß dürfte auch die genormte Verbrauchsrunde in diesem Bereich liegen – wir werden sehen.
Innen geht es recht nobel zu: Die braune Ledernachbildung sowie das farblich abgesetzte obere Armaturenbrett machen schon etwas her. Die Verarbeitung macht ebenfalls einen guten Eindruck. Die Sitze sind beheiz- und belüftbar, eine gute Sitzposition auch als großer Fahrer schnell gefunden. Doch der Blick auf die Reichweitenanzeige ernüchtert, den sie zeigt bei vollem Akku lediglich 380 Kilometer an. Tja, der Winter.
03.12.2024: Haben Sie schon mal von der „Rechtsspurzusammenführung“ gehört? Nein? Nun, wir auch nicht. Der Begriff stammt vom Ora 07 und meint eine Autobahnauffahrt. Immer wenn der Ora also auf eine Auffahrt zurollt, ertönt dieser Spruch: „In 300 Metern kommt eine Rechtsspurzusammenführung. Bitte fahren Sie vorsichtig“. Das nervt.
Dies ist nur eine, aber die sinnloseste der Warnungen, die ständig ertönen. Mal ist es die Geschwindigkeit, mal die Warnung vor einem Schulbereich oder einer scharfen Kurve. Wer in Ruhe Musik oder ein Hörbuch genießen will, der ist im Ora falsch. Während die eben erwähnten Warnungen nicht abstellbar sind, kann man immerhin das Euro-Klingeln (5 Doppeltöne) in einem Untermenü ausschalten, freilich muss man das nach jedem Start erneut erledigen. Auf eine Taste legen kann man diese Funktion nicht.
Dauerhaft abschalten hingegen kann man den Spurhalteassistenten, der doch vernehmlich in das Lenkrad greift, wenn man auch nur ein wenig den Rändern der Fahrspur zu nahe kommt. Das heißt aber nicht, dass es keine Lenkkorrektur mehr gibt, denn der Ora besitzt das Feature „Spurhalte-Notwarner“, der kurz vor einem vermeintlichen Verlassen der Spur aktiv wird. Auch dieser lässt sich aber abschalten.
Es gibt also vieles abzuschalten im Ora vor jeder Fahrt – Ruhe schafft das aber nicht. Und so sollte GWM die Software für Europa/Deutschland anpassen. Denn man kann davon ausgehen, dass nicht viele Fahrer/innen das ständige Geklingel beziehungsweise die Sprachwarnungen toll finden. Oder?
06.12.2025: Wir haben doch noch ein kleines Schlupfloch gefunden, um immerhin den ständigen Sprach-Warnungen von Charly, dem Bordcomputer, zu entgehen. Schaltet man die Navigationsstimme auf leise, dann hört man ihn nicht mehr (siehe vorherigen Eintrag) und man hat seine Ruhe. Dummerweise ist dann freilich auch die Naviansage sowie die Sprachbedienung stumm. Die Piepstöne lässt diese Maßnahme freilich nicht vertummen.
Doch lassen wir es jetzt gut sein mit diesem (unsäglichen) Thema. Mittlerweile waren wir auf unserer Verbrauchsrunde über 100 Kilometer und haben einen Schnitt von 20,5 Kilowattstunden erfahren. Bei Temperaturen von knapp über null Grad ist das kein schlechter Wert; im Sommer dürfte der Ora 7 GT die WLTP-Angabe von 17,5 kWh durchaus erreichen. Im Alltagsbetrieb mit vielen Kurzstrecken, aktivierter Sitz- und Lenkrad- und Frontscheibenheizung liegen wir derzeit bei knapp 22 kWh.
Längere Strecken legt man im Ora problemlos zurück. Die Sitze sowie alle anderen Materialien sind wertig, die Verarbeitung stimmt. Die schwebende Brücke zwischen Fahrer- und Beifahrersitz wirkt edel; auf ihr sind Drehregler für Klimatisierung und Fahrmodi sowie einige wichtige Schalter platziert. Das macht was her. Feine Lichtleisten durchziehen den Innenraum, die je nach Gefahrenpotenzial ihre Farbe zu Rot verändern und so etwa vor rückseitigem Verkehr beim Türöffnen warnen.
Aufgrund der Bauform gibt es im Ora 07 wenig Platz für Gepäck. Einen Frunk gibt es nicht, und der Kofferraum hinter der kleinen Klappe fast gerade mal 333 Liter – das ist Kleinwagengröße. Legt man die hinteren Sitzlehnen um, passen 1.045 Liter ins Auto. Dafür sitzt man auf der Rückbank erstaunlich kommod.
Die beiden permanenterregten Synchronmotoren mit ihren insgesamt 300 kW (408 PS) machen beim Druck aufs Pedal mächtig Alarm und schaffen den Sprint auf 100 km/h in 4,5 Sekunden. Benötigt man kurzfristig mehr Power lässt sich diese durch den Druck auf einen Knopf im Lenkrad aktivieren. Bei 180 km/h ist der Ora abgeregelt. Die Zuladung liegt bei 350 Kilo; für den Zugbetrieb oder den Transport von Fahrrädern auf einer Anhängerkupplung ist der Ora nicht ausgelegt.
10.12.2024: Je öfter wir mit dem Ora unterwegs sind, umso sympathischer wird er uns. Sein ausgewogenes Fahrwerk, die hochwertige Innenausstattung – und mit dem Abschalten der Navistimme haben wir auch die ständigen Sprachwarnungen eliminiert. Machen wir uns also auf den Weg zur HPC-Ladesäule. Wie der GWM-Importeuer mitgeteilt hat, wird die Akku-Vorwärmung völlig automatisch geregelt – je nach Witterung und Temperatur, so dass wir mit gut temperierter Batterie nach 30 Minuten Fahrt am EnBW-Lader ankamen. Die Ladedose liegt übrigens vorne rechts, was das Bordsteinladen erleichtert.
Laut Hersteller soll die Ladeleistung bei maximal 88 kW liegen, nicht eben viel. Und schnell zeigte sich, dass der Ora 07 diese Leistung auch erreicht – und sie mit Unterbrechungen auch einige Zeit halten kann (siehe Ladekurve). Letztlich dauerte der Ladevorgang von 15 auf 80 Prozent SoC 44 Minuten. Das ist durchaus ausbaufähig, auch wenn die Temperaturen beim Laden nur 5 Grad betrugen. Die durchschnittliche Ladeleistung lag bei 63,3 kW. Damit ist er übrigens nicht viel langsamer als der zuletzt von uns getestete Renault Scenic E-Tech, der 42 Minuten für die Ladung benötigte und einen Schnitt von 77 kW erreichte.
Immerhin besitzt der Ora eine EV-Ladeplanung, die auf langen Strecken die passenden Lademöglichkeiten eruiert. Und gut gefallen hat uns auch, dass Charly (die Bord-KI) per Sprachbefehl passende Ladesäulen findet, etwa: „Hey Charlie, finde eine EnBW-Ladesäule in XY“. Das macht er wirklich gut. An AC-Säulen lädt der Ora 07 übrigens mit maximal 11 kW; eine 22-kW-Option gibt es nicht.
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