Dem Automarkt steht ein Umbruch bevor: Chinesische Marken setzen immer mehr E-Autos ab. Das hat seine Gründe.
Auch große Veränderungen beginnen klein. So wie man zunächst den SUV-Trend als kurzfristiges Phänomen abgetan hatte, so könnte dies nun bei einer Veränderung mit weitreichender Konsequenz sein. Denn dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) seit Anfang des Jahres in seiner Statistik erstmals auch chinesische Hersteller aufführt, dürfte den wenigsten Autointeressierten aufgefallen sein. Dabei ist es vielleicht der Start einer Kulturrevolution. Denn nachdem die gesamte Autobranche seit Jahren besorgt raunt, dass nun die Chinesen kämen, sind sie nun plötzlich da. Und treffen auf eine verwundbare europäische Konkurrenz im Umbruch.
Verwundbare europäische Konkurrenz
Doch werfen wir zunächst einen Blick auf die Zahlen: Knapp 7.000 Autos chinesischer Hersteller haben in den ersten sieben Monaten des Jahres ein deutsches Kennzeichen erhalten. Das scheint zunächst nicht viel. Doch ihr Anteil an dem schwachen Gesamtmarkt beträgt bereits fast ein halbes Prozent. Allein Stückzahl-Primus MG Roewe hält 0,3 Prozent – so viel wie die einstige Volumenmarke Honda, und mehr als traditionsreiche Hersteller wie Subaru, Alfa Romeo oder Lexus. Betrachtet ganz Europa, werden auch die Stückzahlen prägnanter. Die Beratungsagentur Inovev hat im ersten Halbjahr 75.000 Pkw-Neuzulassungen chinesischer Hersteller gezählt und rechnet für das Gesamtjahr mit 150.000 Einheiten. 2021 lag die Zahl der verkauften Fahrzeuge in den 29 betrachteten Staaten bei 80.000.
Europa: Verdopplung erwartet
Während europaweit der Elektro-Crossover MG ZS EV das beliebteste Auto ist, hat hierzulande der Crossover EHS (Titelfoto) des gleichen Herstellers noch die Nase vorn, ein Plug-in-Hybrid in der Tiguan-Liga, der mit knapp 35.000 Euro allerdings deutlich günstiger zu haben ist als der Wolfsburger Bestseller. 2.575 Neuzulassungen gab es im ersten Halbjahr – ähnlich viele wie etwa von einem Seat Tarraco oder einem Renault Kadjar.
Neben MG Roewe und der Volvo-Schwester Lynk&Co., die es bereits in die KBA-Statistik geschafft haben, stehen noch weitere Hersteller in den Startlöchern. Etwa Aiways aus Shanghai, die bereits seit 2019 in Europa vertreten sind und in Deutschland ihre Modelle über die Elektronikkette Euronics verkaufen. Zuletzt litt das Unternehmen unter Lockdowns und Transportkrise. Im Juli wurden aber wieder rund 2.000 Fahrzeuge produziert, mehr als im kompletten halben Jahr zuvor. Rund ein Drittel geht nach Europa. Spätestens im kommenden Jahr wollen die Chinesen daher wieder angreifen. Neben dem Elektro-SUV U5 soll dann auch dessen Coupé-Ableger U6 an den Start gehen.
Ein Gigant tritt an: BYD
Für den kommenden Oktober hat außerdem ein echter Gigant seinen Deutschland-Start angekündigt. Dann will BYD, der aktuell größte E-Autobauer der Welt, hierzulande mit dem Vertrieb beginnen. Rund 640.000 E-Mobile und Plug-in-Hybride hat das Privatunternehmen im ersten Halbjahr weltweit verkauft, bei Batterietechnik zählen die Chinesen zudem weltweit zu den Technologieführern. Generell sind die Zeiten vorbei, in denen im Reich der Mitte vor allem billig kopiert wurde. Im aktuellen Innovations-Ranking des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach liegen MG-Mutter SAIC und BYD auf den Rängen vier und fünf. Hinter VW, Tesla und Mercedes, aber vor BMW, General Motors und Hyundai. Für die Jahres-Rangliste hat das CAM die Innovationen von 28 Automobilkonzernen mit rund 80 Automobilmarken analysiert und bewertet. Die Chinesen punkteten dabei vor allem bei der E-Mobilität.
Große Lücken entstehen
Eine weitere Stärke sind die vergleichsweise günstigen Preise. Das kompakte Elektro-SUV MG ZS EV kostet mit rund 34.000 Euro weniger als der E-Kleinwagen Renault Zoe, lange Jahre der Elektroauto-Bestseller in China. Der Aiways U5 mit 400 Kilometern Elektro-Reichweite ist mit Quasi-Vollausstattung für 45.000 Euro zu haben, den Elektro-Kombi MG5 gibt es für 35.500 Euro. Selbst das teuerste chinesische Auto, der MG Marvel R, kostet vergleichsweise günstige 50.000 Euro. Eine Preisklasse, aus der sich viele europäische Hersteller langsam zurückziehen.
Audi hat bereits angekündigt, das Kleinwagen-Segment aufzugeben und für A1 und Q2 keine Nachfolger mehr aufzulegen. Mercedes hat eine neue Luxus-Strategie verkündet, der mindestens die aktuellen Kompaktmodelle, wenn nicht gar auch die Mittelklasse zum Opfer fallen dürfte. Und selbst bürgerliche Hersteller wie Ford wollen sich künftig auf hochpreisige Modelle wie die Mustang- und Bronco-Familie konzentrieren. Dass deutsche Käufer aber gerade Kleinst- und Kleinwagen kaufen, belegt der Erfolg der Fiat 500e, der im ersten Halbjahr das meistverkaufte E-Auto war.
Kleine Flitzer aus China
Denn Marge statt Volumen heißt die aktuelle Strategie der westlichen Hersteller, die sich schon seit längerem zunehmend aus den preissensiblen Segmenten zurückziehen. Kleinstwagen gibt es schon kaum mehr, und auch das Kleinwagen-Segment schrumpft hinsichtlich Variantenangebot und Bedeutung. Stattdessen fluten höherpreisige SUV die Modellprogramme. Eine Lücke, in die die Chinesen stoßen könnten. Etwa mit dem Wuling Mini EV. Der knapp drei Meter lange Mini-Van, ein Gemeinschaftsprodukt von SAIC und General Motors, hat weitgehend unbemerkt nun in Litauen seinen EU-Start gefeiert – zu Preisen ab 10.000 Euro. In China ist das kleine Auto bereits seit Jahren der meistverkaufte Pkw, allein im ersten Halbjahr fand er 214.000 Kunden. Weltweit kommt er auf einen Anteil von 37 Prozent am Markt für elektrische Kleinstwagen. SP-X/Titelfoto: Mag
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