Die Reifen-Industrie forscht und entwickelt intensiv an nachhaltigen Pneus. Und befindet sich schon auf einem guten Weg.
Beim Thema Nachhaltigkeit im Verkehr blickt alles auf das Auto beziehungsweise, dessen Antrieb. Verbrenner, Hybrid oder Elektro? Umweltfreundliche Materialien im Innenraum? So weit, so gut. Doch kein Auto fährt ohne Reifen. Wie sollen sie den Wandel schaffen?
Zunächst einmal: Ein Reifen besteht aus rund 200 verschiedenen Komponenten. Die wichtigsten sind Natur- und synthetischer Kautschuk, Füllstoffe wie Ruß und Silica, Stahl, Textilien und natürliche sowie synthetische Elastomere. Außerdem werden Öle und Wachse gebraucht. Um die Ökobilanz der Reifen zu optimieren, drehen die Hersteller an verschiedenen Stellschrauben – von der Entwicklung bis zum Altreifen-Recycling. Schauen wir uns diese Bestrebungen mal an.
Entwicklung mit KI
Eine Möglichkeit, „grüner“ zu werden, besteht bereits in der Entwicklungsphase. Moderne Reifen werden zunehmend am Simulator und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz entwickelt. Das spart Zeit, Testkilometer und Probereifen und hilft natürlich auch, Kosten zu senken.
Bei der Zusammensetzung von Reifen setzt die Reifenindustrie zunehmend auf umweltfreundliche Komponenten. Michelin will zum Beispiel bis zum Jahr 2050 Reifen aus 100 Prozent biologisch hergestellten und recycelten Materialien wie etwa Naturkautschuk, Harzen auf biologischer Basis oder recycelten Kunststoff und alten Aluminiumdosen herstellen. Künftig wird der Hersteller auch farbige Plastikflaschen, Styropor und Verpackungsmaterial für die Reifenproduktion nutzen. Verwendete Öle sind pflanzlich, Silicat wird aus Reisschalen gewonnen. Für die Reifengürtel kommen wiederverwendete Stähle zum Einsatz. Die Produktion soll bis zum gesetzten Zeitpunkt klimaneutral erfolgen und auch der Wasserbedarf soll unabhängig von der öffentlichen Wasserversorgung gedeckt werden.
Die Reifenindustrie will umweltfreundlicher werden
Ähnliche Ansätze verfolgen auch andere Reifenhersteller. Ersatzstoffe aus Abfallprodukten oder aus nachwachsenden Rohstoffen stehen hoch im Kurs. Pirelli setzt etwa neben der Verwendung von Reisschalen statt Silica auf Lignin, einem Abfallprodukt der Zellstoff- und Papierindustrie. Es trägt zur Haltbarkeit des Reifens und zur Verringerung des Rollwiderstands bei. Für die textile Reifenverstärkung nutzen die Italiener Rayon, deren Fasern aus Zellulose gewonnen werden. Bio-Harze, die aus pflanzlicher Biomasse wie Pflanzensamen oder Harzen aus Wäldern extrahiert werden, ersetzen chemische Weichmacher. In der Reifenproduktion von Continental kommen unter anderem biobasierte Harze, nachhaltiger Ruß und recyceltes Gummi zum Einsatz.
Schonender Umgang mit Materialien
Zum Thema Nachhaltigkeit gehört aber nicht nur, kein oder wenig CO2 zu emittieren, sondern auch der ressourcenschonende Umgang mit Materialien. Und dass Bestrebungen nach Nachhaltigkeit nicht einfach sind, zeigt sich etwa beim Thema Naturkautschuk. Ein Pkw-Reifen besteht zu 10 bis 30 Prozent daraus. Hauptlieferant ist der Kautschukbaum Hevea Brasiliensis. Rund 70 Prozent des weltweiten Naturkautschuks benötigt die Reifenindustrie. Die meist in Monokulturen angebaute Pflanze wächst überwiegend im „Kautschukgürtel“ um den Äquator. Neben schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Plantagenarbeiter haben etwa Abholzung und der Einsatz von Pestiziden negative Auswirkungen auf die Ökosysteme sowie die Artenvielfalt. Die großen Reifenhersteller, darunter Continental, Bridgestone, Goodyear, Michelin und Pirelli, haben auf die letztlich auch imageschädigenden Probleme reagiert und etwa mit dem Tire Industry Project (TIP) und der Gründung der Globalen Plattform für nachhaltigen Naturkautschuk (Global Platform for Sustainable Natural Rubber, GPSNR) Initiativen ins Leben gerufen, die unter anderem die Arbeitsbedingungen und den Naturschutz verbessern sollen.
Alternativen zum Naturkautschuk
Schon seit einigen Jahren suchen die Reifenhersteller nach Alternativen zu Naturkautschuk. So soll zum Beispiel der Russische Löwenzahn (Taraxacum kok-saghyz) eine Rolle spielen. In den Wurzeln und dem Milchsaft des Gewächses findet sich hochmolekularer Kautschuk oder auch Latexsaft – der gleiche Gummi-Grundstoff, der bisher aus dem Regenwald kommt. Hersteller wie Continental und Goodyear forschen intensiv an diesem Ersatzstoff. Langfristig soll die Pflanze auf bisher ungenutzten Flächen in gemäßigten Zonen Europas – und damit auch in geografischer Nähe zu den Reifenwerken angebaut werden. Sie darf aber nicht in Konkurrenz zu Nahrungspflanzen stehen. Latex aus solchem Anbau würde zudem die transportbedingten CO₂-Emissionen reduzieren. Reifenhersteller Bridgestone erforscht zudem die Pflanze Guayule. In den Wurzeln und Stängeln des in den Wüstengebieten Mexikos sowie in den US-Staaten Texas und New Mexico beheimateten Guayule-Strauchs befindet sich eine Latex ähnliche Flüssigkeit, die als Kautschukersatz genutzt werden kann. Der hitzebeständige und anspruchslose Strauch kann mit bestehenden landwirtschaftlichen Maschinen angebaut werden.
Kautschuk aus Guayule
Auch bei der Herstellung von synthetischem Kautschuk sucht die Reifenindustrie nach umweltfreundlicheren Alternativen, zum Beispiel beim Gas Butadien. Dies ist brennbar, polymerisiert leicht und ist Bestandteil von synthetischem Kautschuk. Michelin will das bislang noch auf Erdölbasis hergestellte Butadien künftig mittels Bioethanol aus pflanzlicher Biomasse wie etwa aus forstwirtschaftlichen oder landwirtschaftlichen Rückständen produzieren.
Eine weitere Möglichkeit, einen Reifen nachhaltiger zu machen, besteht in der Erhöhung seiner Laufzeit. Dazu nutzen Reifenhersteller unterschiedliche Gummimischungen. Im Schnitt sind Reifen mittlerweile auf eine Laufleistung zwischen 40.000 und 50.000 Kilometer ausgelegt. Auch das Thema Abrieb rückt immer mehr in den Fokus, schließlich entstehen zwischen 75 und 90 Prozent der Umweltauswirkungen eines Reifens während seiner Nutzung. Für die Reifenhersteller ist dies eine große Herausforderung. Einerseits sorgt der Abrieb für Haftung auf der Straße, andererseits sollte er aus Umweltgründen so gering wie möglich ausfallen. Nach Messungen des ADAC gelingt es bislang Michelin und Goodyear am besten, diesen klassischen Zielkonflikt zu meistern.
Der Abrieb rückt in den Fokus
Beim Thema Laufleistung geht Michelin einen besonderen Weg. Das Unternehmen forciert unter dem Begriff „Long Lasting Performance“ das Ausnutzen der Profiltiefe bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern. Gute Reifen sollten gemäß des Michelin-Konzepts bis zum Erreichen der Mindestprofiltiefe noch mit ihren Kernkompetenzen wie Grip, Fahrstabilität und Bremsleistung überzeugen. Die längere Nutzungsdauer spart zudem Kosten und reduziert Kohlendioxidemissionen sowie den Einsatz von Material. Autofahrer, die den Michelin-Ansatz vertrauen, müssen allerdings im Winter bei Fahrten nach Österreich aufpassen. In der Alpenrepublik sind im Zeitraum zwischen dem 1. November und dem 15. April bei winterlichen Straßenverhältnissen eine Mindestprofiltiefe 4 Millimeter für Winter- oder Ganzjahresreifen vorgeschrieben.
Was geschieht nach dem Reifenleben?
Das Thema Nachhaltigkeit hört am Ende eines Reifenlebens nicht auf. Reifen können zum einen als sogenannte Runderneuerte einem zweiten Leben zugeführt werden. Das geschieht in Deutschland bei Pkw-Reifen allerdings recht selten, bei Lkw-Reifen gehört dieser Vorgang –auf eine noch intakte Karkasse wird ein neue Laufflächenmischung aufgetragen – zum Standardangebot. Altreifen lassen sich zudem mittlerweile etwa mittels Pyrolyse recyceln, um aus ihnen etwa Ruß und Stahl zu extrahieren.
Erste Ergebnisse der Nachhaltigkeitsbestrebungen sind bereits sichtbar. Fast alle Reifenhersteller haben Reifen im Angebot, die aus Öko-Materialien bestehen. Wichtig für die Reifenkäufer: Die Öko-Reifen sind nicht nur gut für die Umwelt, sondern punkten auch oftmals mit einer A-Einstufung beim EU-Reifenlabel in den Bereichen Rollwiderstand, Nassbremsen und Außengeräusch. Elfriede Munsch/SP-X/Titelfoto: Michelin
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